Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide
trotzdem hatte er mein Innerstes gelesen und wusste, was ich ihm vormachte, und hatte vermutet, dass allein panischer Schrecken meine Reflexe lösen würde: vielleicht wusste er sogar, dass ich es schon mit physischem Sadismus versucht, es aber nicht geschafft hatte. Wieder draussen in der Wall Street erblickte ich in der Menge einen Mann mit einer Gasmaske - in jenem Jahr sah man das noch selten - und fühlte, dass die ganze Welt sich schneller bewegte, als ich begreifen konnte, und dass die Bruderschaft mir nicht annähernd soviel verriet, wie ich eigentlich wissen sollte.
Bruder Beghard. der unter seinem «richtigen» Namen eigentlich Politiker in Chicago ist, erklärte mir anhand des Gesetzes über das Kräftefeld einer Pyramide das Fünfer-Gesetz. Vom Intellekt her konnte ich's verstehen: es stellte die einzige Möglichkeit dar, wie wir arbeitsfähig sein können. Jede Gruppe ist ein abgeteilter Vektor, so dass das meis te, das ein Eindringling erfahren kann, nur ein kleiner Ausschnitt der gesamten Anlage ist. Vom Gefühlsmässigen her kann es einem jedoch Furcht einflössen: können die Fünf an der Spitze wirklich das ganze Bild überschauen? Ich weiss es nicht und kann mir nicht vorstellen, wie sie irgendeine Bewegung eines Mannes wie Drake voraussagen oder auch nur vermuten können. Ich weiss, es gibt hier ein Paradoxon: ich trat dem Orden bei, auf der Suche nach Macht, und jetzt bin ich eher mehr ein Werkzeug, mehr ein Objekt, als jemals zuvor. Käme es einem Mann wie Drakejemals in den Sinn, so könnte er die ganze Schau platzen lassen.
Sei es denn, die Fünf besitzen wirklich die Macht, die sie beanspruchen; aber ich bin nicht leichtgläubig genug, um so einen Blödsinn einfach zu schlucken. Einiges ist Hypnotismus, anderes nichts weiter als gute alte Bühnenmagie, aber nichts davon ist wirklich übernatürlich. Keiner hat mir mehr Märchen angedreht, seit mein Onkel in mich eindrang mit seiner alten Geschichte, die Blutung aufhalten zu wollen. Hätten meine Eltern mir nur vorher die Wahrheit über Menstruation erzählt...
Genug davon. Es gab genügend Arbeit zu tun. Ich drückte auf den Summer auf meinem Schreibtisch und mein Sekretär, Mister Mortimer, kam herein. Wie vermutet war es schon nach neun Uhr und er war draussen im Empfang gewesen, entschlossen, ein besseres Leben zu beginnen, und hatte sich, weiss Gott wie lange schon, Sorgen darüber gemacht, in was für einer Stimmung ich mich wohl befand, während ich tagträumte. Ich studierte meinen Notizblock, während er ängstlich wartete. Endlich bemerkte ich es und sagte: «Setzen Sie sich.» Er sank auf den Diktatstuhl und, von mir aus gesehen, war sein Kopf genau unter dem gezackten Blitz im Emblem unseres Ordens - ein Bild das mir immer Vergnügen bereitete - und öffnete seinen Block.
«Rufen Sie Zev Hirsch in New York an», sagte ich und beobachtete, wie sein Bleistift dahinflog, um mit meinen Worten Schritt zu halten. «Die Foot Fetishist Liberation Front plant eine Demonstration. Sagen Sie ihm, er solle sie einseifen; ich wäre nicht eher zufrieden, bis ein Dutzend dieser Pervertierten im Krankenhaus sei, und dass es mir egal ist, wieviele unserer Leute dabei eingesperrt würden. Das Geld für Kautionen liegt bereit. Sollte Zev irgendwelche Einwände haben, werde ich selbst mit ihm reden, im übrigen können Sie das alles selbst regeln. Halten Sie, dann die Standard -Presseverlautbarung Nummer zwei bereit, in der ich jedes Wissen um illegale Aktivitäten in dieser Angelegenheit bestreite und verspreche, den Fall zu untersuchen und jeden ausschliessen lasse, dem eine Schuld nachgewiesen werden kann. Dann verschaffen Sie mir die letzten Verkaufszahlen von Telemachus Sneezed...» Wieder einmal hatte ein arbeitsreicher Tag im Hauptquartier der God's Lightning begonnen; und Hagbard Celine, der Mavis' Angaben über Georges Sexual- und sonstiges Verhalten in FUCKUP eingegeben hatte, erhielt die Kodierung C-1472-B-2317 A, welches ihn in ein unbändiges Gelächter ausbrechen Hess.
«Was gibt's da so lustiges dran?» fragte Mavis.
«Aus dem Westen nähert sich auf donnernden Hufen das Pferd, Onan», Hagbard grinste. «Der einsame Fremde reitet wieder!»
«Was zum Teufel soll das alles bedeuten?»
«Wir haben vierundsechzigtausend mö gliche Personentypen», erklärte Hagbard, «und diese Angabe habe ich nur einmal vorher bekommen. Rat mal wer es war?»
«Ich nicht», sagte Mavis rasch und errötete.
«Nein, nicht du.» Hagbard lachte weiter.
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