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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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zumindest nicht so, wie Jana ihn in Erinnerung hatte, sondern wie eine jüngere Ausgabe ihres toten Freundes. Sein Haar war etwas dunkler, seine Augen von einem intensiveren Blau, aber auch trauriger. So wie Erik mit dreizehn oder vierzehn ausgesehen hatte, daran erinnerte sie sich noch schwach, schließlich waren sie damals schon in dieselbe Klasse gegangen. Und doch hatte sie nicht das Gefühl, ihn wirklich wiederzuerkennen. Aber es war Erik, da war sie sicher.
    So sicher sie eben sein konnte, wenn man bedachte, dass die Verwandlung in Alex’ Gesicht nur wenige Sekunden gedauert hatte.
    Als das Wunder vorbei war, sah Alex immer noch nach oben, hielt nach ihr Ausschau, um sich mit ihr zu verständigen. »Gib noch nicht auf, Jana«, sagte er in flehendem Ton. »Wir müssen das Buch finden. Bitte! Tu’s für ihn, für Erik.«
    Er klang so aufrichtig, dass es Jana wirklich zu Herzen ging. Und sie hatte an Alex’ Loyalität zu Erik gezweifelt, sie hatte gedacht, er fürchte sich davor, das Buch zu finden, weil er nicht wollte, dass sein Freund vom Tod zurückkehrte!
    Sie musste eine letzte Anstrengung unternehmen. Alex hatte recht: Sie mussten es für Erik tun, das waren sie ihm schuldig. Die kurze Verwandlung des Gesichts ihres Freundes hatte ihr eindrücklich in Erinnerung gerufen, wie Erik gewesen war, als er noch gelebt hatte, und wie sehr er sie beide gemocht hatte. Wenn das Buch ihn zurückbringen konnte, dann mussten sie es versuchen, so gefährlich es auch sein mochte.
    Sie wurde immer schwächer. Ihr blieben höchstens noch drei oder vier Minuten und sie musste sie maximal ausnutzen, um diesem finsteren Schmerz nachzugehen, diesem leisen Pulsieren, das von irgendeiner Stelle hier im Raum kommen musste. Von irgendeiner Stelle …
    Da blieb ihr Blick an dem alten Spiegel hängen. Erst jetzt merkte sie, dass sie ihn bis zu diesem Moment gemieden hatte. Als ob etwas in ihrem Inneren sich dagegen gesträubt hätte, ihn bewusst wahrzunehmen. Als ob sie Angst vor ihm hätte.
    Auf einmal war ihr klar, dass die Finsternis von dort kam. Jana glitt mühsam zu dem schweren Brokat, mit dem der Spiegel abgedeckt war. Dieser Stoff war alt, reich bestickt mit Gold- und Silberfäden, die traditionelle Symbole der Medu darstellten, aber dazwischen konnte sie Buchstaben erkennen, Wörter in Latein und Hebräisch, die zu einem Satz aneinandergereiht waren, den sie nur zu gut kannte: Wer es wagt, den letzten Schleier zu lüften, sieht seiner eigenen Vernichtung ins Auge; wer die Symbole ihres Schutzes beraubt, den erwarten der ewige Tod und die Unendlichkeit des Nichts.
    Janas Astralleib begann zu zittern. Das hier war der rituelle Fluch der Klane und gleich würde sie sich über diese Warnung hinwegsetzen. Die Angst ließ sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Erst als ihr Eriks verjüngtes Gesicht wieder in den Sinn kam, so wie es gerade hinter Alex’ Zügen flüchtig aufgetaucht war, wurde sie wieder mutiger.
    Sie streckte ihre körperlose Hand aus und bekam den gelben Brokat zu fassen, versuchte, ihn beiseitezuziehen. Aber er war schwer wie Blei. Zu schwer für sie. Es würde ihr nie gelingen, ihn anzuheben.
    Unter dem Stoff meinte sie, ein Geräusch zu hören wie von Wellen, ein fernes Rauschen, das aus dem Spiegel zu kommen schien. Als sie den Blick weiter nach unten richtete, auf das letzte Drittel, das unter dem Stoff hervorsah, loderte erneut Panik in ihr auf.
    Die Glasoberfläche spiegelte nichts von dem, was sich davor befand. Der sichtbare Teil des Spiegels war vollkommen leer.
    Und diese Leere, die in ihren Ohren als fortgesetztes Rauschen ankam, enthielt das Buch – war das Buch, das wusste Jana plötzlich.
    Die Zeit drängte. Sie konnte den Stoff nicht alleine bewegen. Er war mit einem Zauber geschützt, den sie mit ihrer schwachen Magie nicht brechen konnte.
    Sie brauchte Hilfe. Und sie wusste, wo sie sie finden konnte.
    Sie wusste auch, dass die Idee, die sie gerade gehabt hatte, völlig verrückt war. Wenn sie das wirklich tat, würde sie es ihr Leben lang bereuen und wahrscheinlich würde sie dafür einen sehr hohen Preis zahlen müssen. Aber was blieb ihr anderes übrig?
    Indem sie ihre allerletzten Kräfte mobilisierte, begann sie, eine rituelle Formel aufzusagen, um den Sarasvati zu sich zu holen.
    Sie beobachtete, wie sich das Licht des Steins von ihrem reglos auf dem Boden liegenden Körper löste, wo es einen halbmondförmigen Schatten auf ihrer Stirn hinterließ, und zu ihrem Astralleib schwebte.

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