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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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Einen Moment lang hielt sie dieses Licht in ihren Geisterhänden und zögerte. Wenn sie den nächsten Schritt tat, würde es kein Zurück mehr geben.
    Sie tat ihn trotzdem. In ihrem Kopf nahmen eins nach dem anderen die Worte der alten Sprache Gestalt an, mit denen sie die Geister der drei Schwestern anrief. Eine Aufgabe, eine einzige Aufgabe als Gegenleistung für die Freiheit: den Stoff, mit dem der Spiegel zugedeckt war, beiseiteziehen, sodass seine Oberfläche frei lag.
    Es bereitete Jana immer mehr Mühe, sich die Worte ins Bewusstsein zu rufen. Ihr ganzes Wesen sträubte sich dagegen, sie auszusprechen, aber es gelang ihr, diesen Widerstand zu überwinden. Sie wusste, dass das, was ihre eigenen Kräfte überstieg, für Urd und ihre Schwestern ein Leichtes war. Sie waren in dem blauen Sarasvati eingeschlossen worden, bevor die Medu ihre magische Vormachtstellung verloren hatten, und besaßen noch ihre frühere Zauberkraft. Zusammen waren die drei fast unbesiegbar.
    Sie hörte ein Lachen; ein helles Lachen, das sich in einem dreifachen Echo brach und schwerelos wie die heiße Luft in einem Ballon durch den Raum schwebte. Jana sah die drei Schwestern nicht herauskommen, aber sie spürte einen Lufthauch, als sie an ihr vorbeistrichen.
    Der Brokat fiel zu Boden. Dabei machte er das schwere Geräusch eines Vogels, der mitten im Flug von einem Schuss getroffen wird.
    Dann schleppte Jana sich mit allerletzter Kraft zu ihrem bewusstlosen Körper.
    Sie hatte getan, was sie tun musste. Trotz aller Zauber und Flüche hatte sie es geschafft, den Schleier zu lüften, unter dem das Buch der Schöpfung verborgen war.
    Mit einem Schauder schlüpfte sie in den reglosen Körper, der sie erwartete, und verband sich wieder mit ihm, mit seinen Organen, seinem warmen Blut, das in einem ununterbrochenen Kreislauf durch winzige Gefäße floss und alle Zellen versorgte. Vor Angst verkrampfte sie sich, als ihr mit einem Schlag bewusst wurde, wie eng das Gefängnis war, in dem sie jetzt wieder steckte.
    Dann machte sie einen tiefen Atemzug. Sie sog genüsslich die Luft ein, bis ihre Lunge zum Bersten gefüllt war.
    Das Leben hatte sie wieder.
    —
    »Alles in Ordnung?«
    Alex hatte sich über sie gebeugt und sah sie besorgt an. Er war ziemlich blass und Jana bemerkte ein leichtes Vibrieren in seinem Gesicht, das seinen Zügen die Harmonie nahm. Das musste an ihren Augen liegen. Vielleicht hatte sie nach ihrer außerkörperlichen Erfahrung Schwierigkeiten, den Blick zu fokussieren.
    »Ja«, hauchte sie. Sie musste sich erst wieder an den Klang ihrer Stimme gewöhnen. »Ich glaube schon …«
    Nun, da sie wieder in der materiellen Welt zurück war, kam ihr alles grob und aggressiv vor. Die Geräusche waren zu laut, die Formen überdeutlich. Sogar das schwache Licht der beiden Energiesparlampen an der Decke störte sie. Sie war durcheinander, als wäre sie gerade aus einem Albtraum aufgewacht, mit Kopfweh und einem unangenehmen Geschmack im Mund.
    Aber was sie gerade erlebt hatte, war kein Traum gewesen. Es war wirklich geschehen. Alles – die finstere Ausstrahlung dieser unsichtbaren Macht, ihr Kampf mit dem Brokat, der den Spiegel bedeckte, der blaue Schein des Saphirs, das Lachen von Pertinax’ Töchtern, der Brokat, der zu Boden glitt und den Spiegel freigab.
    Und diese Macht war immer noch da, das konnte sie ganz deutlich spüren. Nur war sie jetzt nicht mehr mit dem Stoff bedeckt, sondern beobachtete sie vom Spiegel aus, in dem sie gefangen war.
    Während Alex ihr beim Aufstehen half und sie in die Arme nahm, um ihr etwas von der Wärme zurückzugeben, die ihr Körper verloren hatte, ließ sie ihre Augen zum Spiegel wandern und erschrak.
    Da war ein Schatten.
    Er war so dunkel, dass es wirkte, als würde er das Licht um sich herum absorbieren und es in schmutziges Grau verwandeln. Zuerst war er nur eine unförmige Masse mit diffusen Umrissen, aber bald begann er, hin und her zu wabern, um seine undurchdringliche Schwärze richtig zu verteilen, und im Spiegel zeichnete sich die bedrohliche Silhouette eines Mannes ab.
    Jana hätte beinahe aufgeschrien. Sie hatte die Gestalt sofort wiedererkannt, an ihrer Statur, den leicht hängenden Schultern. Das war er, sein Doppelgänger. Es war Alex, ein dunkles, verzerrtes Abbild von Alex.
    Der Junge, der sie nach wie vor in den Armen hielt, näherte seine Lippen ihrem Gesicht und küsste sie, schreckte jedoch sofort zurück. Er musste gespürt haben, dass sie stocksteif geworden war, und als er

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