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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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ihr in die Augen sah, bemerkte er das Entsetzen, das darin geschrieben stand und sich sofort auch in seinem Blick spiegelte.
    Langsam wandte er sich dem Spiegel zu. Beide verharrten mehrere Sekunden so, direkt nebeneinander, die Augen auf die menschenähnliche Gestalt geheftet, die sich auf der Glasscheibe abzeichnete.
    Ja, das da war Alex, aber zugleich auch wieder nicht. Oder besser gesagt, es war eine Mischung aus Alex und noch etwas anderem, etwas so Ungeheuerlichem und Unmenschlichem, dass einen bei seinem Anblick das kalte Grausen packte.
    Es war Alex – und zugleich war es das Buch der Schöpfung.
    Nach und nach zeichneten sich die Züge des Jungen deutlicher ab und rundeten sich, bis sie dreidimensional wirkten. Sein Gesicht schien aus Tausenden von verbrannten Papierschnipseln zusammengesetzt zu sein, als handelte es sich um eine teuflische Skulptur aus Asche. In diesem unscharfen Gesicht aus Millionen von Ascheflocken waren das einzig Klare die Augen, zwei pechschwarze Mandeln, in deren Mitte zwei rote Kugeln loderten wie Zwillingsplaneten, die von tiefster Nacht umringt waren. Ab und zu flackerte in diesen beiden Feuerbällen ein stilisierter Vogel auf, pechschwarz und scharf umrissen. Ein Ibis. Das Ungeheuer trug in seinen Augen genau dasselbe Symbol, das Jana bei der Vorbereitung für ihre gemeinsame Vision für Alex gewählt hatte.
    Zitternd löste sie ihre Hand von dem Jungen, der neben ihr stand, und drehte sich ihm langsam zu. Wieder beobachtete sie das Vibrieren, das sein Gesicht verschwimmen ließ, aber diesmal wusste sie ganz sicher, dass es keine optische Täuschung war.
    Nein. Dieses Gesicht vibrierte, weil es gar kein echtes Gesicht war, sondern eine Maske. Der Junge, der vor ihr stand, der Junge, der sie in dieses alte Haus im jüdischen Ghetto geführt und sie vor ein paar Sekunden geküsst hatte, war nicht der echte Alex. Der echte Alex war im Spiegel gefangen, er steckte in einer Hülle fest, die nur noch ganz entfernt an einen Menschen erinnerte und ihn zu einem Wesen machte, das kaum wiederzuerkennen und extrem bedrohlich war.
    Aber wenn dieser Junge nicht Alex war, wer war er dann?
    Jana überlegte fieberhaft. Jemand, der das Aussehen eines anderen so perfekt nachahmen konnte, musste zwangsläufig ein Medu sein, und zwar ein Iride.
    Sie zwang sich, ihre ganze Aufmerksamkeit auf seine Züge zu richten, die immer stärker vibrierten und sich verzerrten. Es sah so aus, als würde der Zauber, mit dem er seine Maske aufrechterhielt, durch seine Angst geschwächt. Innerhalb weniger Sekunden sah Jana nacheinander ein halbes Dutzend verschiedene Gesichter. Als eines davon sich stabilisierte, hätte Jana vor Schreck beinahe aufgeschrien: Das Gesicht, das das von Alex abgelöst hatte, war kein anderes als das von Yadia.
    Einen Moment lang vergaß sie sogar die schwarze Gestalt, die im Spiegel lauerte und sie mit ihren Feueraugen durchbohrte. »Das hätte ich mir ja denken können«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln. »Du bist kein Varulf, sondern Iride!«
    »Meine Mutter war Iridin«, korrigierte Yadia. »Ich habe ihre Fähigkeiten geerbt. Daran ist nicht Unehrenhaftes.«
    »Die Fähigkeiten selbst sind nicht unehrenhaft, aber die Art, wie du sie einsetzt, schon«, warf Jana ihm wütend an den Kopf. »Du hast mich benutzt, du hast mir was vorgemacht – du hast mich sogar geküsst!«
    »Wie dreist von mir, stimmt’s? Eine Agmar-Prinzessin zu küssen – ich, ein unbedeutender Bastard …«
    Ein Sirren aus dem Spiegel unterbrach seine Worte. Es schwoll immer mehr an, als sei ein Schwarm Heuschrecken im Anflug und erfülle die Luft mit dem gleichzeitigen Vibrieren von Millionen von dünnen Flügeln.
    Jana zwang sich, dorthin zu sehen, wo das Geräusch herkam. Das Gesicht, das im Spiegel lauerte, war pechschwarz angelaufen. Es war das Gesicht von Alex, dem echten Alex, das sich vor Hass verfinstert hatte, ein Hass, der weit älter war als er selbst, ein Hass, wie er am Beginn des Kriegs zwischen den Menschen und den Medu gestanden haben musste, vor Tausenden von Jahren.
    Das ergab keinen Sinn, aber Jana wusste, dass es so war.
    Das metallische Sirren, das aus dem Spiegel kam, war mittlerweile so laut, dass Yadia das Gesicht verzogen hatte und sich die Ohren zuhielt. Jana bemerkte, dass er sich plötzlich erwartungsvoll zum Fenster umdrehte.
    »Wir brauchen Licht«, sagte er. »Das Licht wird ihn aufhalten.«
    Jana erwiderte nichts. Sie war wie gelähmt, war nicht in der Lage, zu sprechen oder

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