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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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hatte fast alle Konturen verloren, als hätte sie jahrhundertelang im Wasser gelegen.
    Mit den übrigen Einrichtungsgegenständen war genau dasselbe passiert: Das geometrische Muster auf dem Perserteppich war zu kaffeebraunen Flecken auf cremefarbenem Untergrund verwischt; die Bronzeuhr, die auf dem Kaminsims stand, war mit einer dicken Schicht Grünspan überzogen, die ihre zarten Reliefs unter sich begraben hatte; sogar der Stoffbezug der goldenen Stühle sah schmutzig und verschlissen aus.
    »Sieh mal nach draußen.« Heru öffnete eines der Fenster. »Es ist wie in einem Albtraum.«
    Jana blickte zu der Reihe von Palazzi auf der anderen Seite des Kanals hinüber, dessen Wasser, turbulenter als sonst, jetzt eine unappetitliche schlammige Farbe hatte.
    Nichts war mehr, wie es einmal gewesen war. Die anmutigen Blendgiebel über den Fenstern waren verschwunden, die auf schlanken Säulen ruhenden Loggien waren eingestürzt. Die geschnitzten Holztüren hingen halb verfault in den Angeln. An der Anlegestelle lagen abgebrochene Gesimse kreuz und quer und auf der gestreiften Markise eines Restaurants lag ein Marmorengel mit zerborstenen Flügeln so knapp an der Kante, dass es aussah, als würde er jeden Moment herunterfallen. Die Gondeln an den Landungsstegen erinnerten an leere Schoten einer riesigen Hülsenfrucht, braun verfärbt und aufgedunsen.
    »Wir müssen etwas tun.« Jana schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden, doch vergeblich. »Wo sind Nieve und Corvino?«
    »Sie sind vor zwei Stunden aus Vicenza zurückgekommen. Da hatte die Seuche schon um sich gegriffen. Sie sind gleich wieder los, um den Nosferatu zu suchen. Wenn jemand ihn aufhalten kann, dann die beiden, Jana.«
    »Ihr Besuch in der Villa Dajedi hat also nichts gebracht. Wenn sie Alex’ Körper gefunden hätten …«
    »Selbst wenn sie ihn gefunden hätten, wüsste keiner von uns, wie man ihm seine Seele zurückgeben soll. Das Wesen, das ihn gefangen hält, ist älter als unsere Traditionen, sogar noch älter als die Menschheit.«
    »Das Buch des Todes«, sagte Jana. »David hat mir erzählt, einer Medu-Legende zufolge gibt es zwei magische Bücher, die sich ergänzen: das Buch des Todes und das Buch des Lebens. Er glaubt, dass beide Bücher zusammen das Buch der Schöpfung ergeben.«
    Heru sah sie aufmerksam an. »Interessante Theorie. Davon habe ich noch nie gehört.«
    »Die Legende besagt auch, das Buch des Todes könne nur von einem Mann gelesen werden und das Buch des Lebens nur von einer Frau. Und David glaubt, dass ich … dass ich vielleicht …«
    »… dass du vielleicht diese Frau sein könntest? Jana, worauf willst du hinaus?«
    »Wenn David recht hat, könnte ich dieses Ungeheuer vielleicht aufhalten. Ich könnte es mit seiner anderen Hälfte verbinden, dem Buch des Lebens. Das wäre sein Ende.«
    Heru lächelte skeptisch. »Und wo ist das Buch des Lebens, Jana? Weißt du das?«
    Jana schüttelte den Kopf. »Vielleicht kommt das Buch von selbst zu mir, so wie seine andere Hälfte zu Alex gefunden hat. Ich muss es versuchen, Heru. Vielleicht ist das der einzige Weg, um meinen Bruder zu retten. Und auch Alex.«
    Herus Stirnfalten wurden noch tiefer. »Das wäre Wahnsinn. Genau das will er doch erreichen – dass du das Haus verlässt und dich auf die Suche nach ihm machst. Du hast keine Chance gegen ihn, Jana. Er ist viel mächtiger als du.«
    »Schon, aber ein Versuch kann auch nicht schaden. Schlimmer kann es nicht mehr werden.«
    »Da irrst du dich, es wird jeden Moment schlimmer. Jetzt sind die Mauern dran, sieh mal.«
    Jana blickte wieder aus dem Fenster. Auf der anderen Seite des Kanals waren gerade mehrere Palazzi ganz eingestürzt; aus den Schutthaufen stiegen Staubwolken auf. Der Marmorengel, der auf die Markise gefallen war, hatte sich zersetzt. Jetzt war er nur noch ein Stummel, nicht wiederzuerkennen.
    Auch der Raum, in dem sie sich befanden, blieb nicht verschont. Die Bilderrahmen waren aus dem Leim gegangen und hingen an einem Fetzen schwarz gewordener Leinwand herunter. Nichts war mehr übrig von ihrer goldenen Pracht, ihren geschnitzten Schnörkeln, bloß geborstenes Holz … Nur noch gut fürs Feuer.
    Jana musste sich an der Wand abstützen. Es fühlte sich an, als hätte sich auch ihr Magen in nichts aufgelöst. »Ich habe nicht mal was gehört«, flüsterte sie. »Das alles ist passiert, während wir uns unterhalten haben?«
    »Die lautlose Seuche. Ein magischer Virus, der sämtliche Kunstwerke und Symbole befällt,

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