Illusion - das Zeichen der Nacht
besorgten Blick, den die beiden Wächter tauschten. »Ist was passiert?«, fragte sie.
Nieve sah sie an. Zwischen ihren Augenbrauen stand eine kleine Falte. »Argo«, antwortete sie ganz unverblümt. »Das ist passiert. Ihn hier zu haben, wird nicht einfach werden, das wissen wir alle. Außerdem ist klar, dass er irgendwas plant. Wann erzählst du uns, was er dir gesagt hat, Jana?«
Mit einer so direkten Frage hatte Jana nicht gerechnet. »Ich … ich kann euch nichts erzählen«, antwortete sie verlegen. »Er hat mich gezwungen, mit der Agmar-Formel zu schwören, sein Geheimnis für mich zu behalten. Und einen Medu-Schwur darf man nicht brechen.«
Nieve strich sich energisch eine blonde Korkenzieherlocke aus der Stirn. »Na wunderbar«, sagte sie schnippisch. »Jetzt kommt also raus, dass du uns nicht vertraust. Im Ernst, Jana, ich weiß nicht, ob dir klar ist, wie gefährlich Argo sein kann. Er will dich nur benutzen, sonst nichts.«
»Du meinst, das wüsste ich nicht?« Jana warf gereizt die Serviette auf den Tisch. »Ich bin doch nicht blöd, ich weiß genau, dass Argo versucht, mir eine Falle zu stellen. Aber ein Schwur ist ein Schwur. Gerade ihr beiden solltet das verstehen.«
»Ist ja schon gut, Jana, natürlich verstehen wir das.« Corvino legte ihr eine Hand auf den linken Arm. »Wir machen uns nur Sorgen um dich, das ist alles.«
Jana zog ihren Arm zurück. Sie wollte keinen Körperkontakt mit Corvino. Sie war zu nervös, um diese freundschaftliche Geste zu schätzen. »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen«, sagte sie schroff. »Ich kann selbst auf mich aufpassen. Das tue ich schon seit vielen Jahren.«
»Wir haben dir da ein paar Jährchen voraus.« Nieves Einwurf sollte witzig sein.
Jana sah sie aus schmalen Augen an. Ihr war nicht zum Spaßen zumute. »Ihr sagt, ich würde euch nicht vertrauen, aber im Grunde ist es umgekehrt. Ihr habt nicht davor Angst, dass ich in Gefahr gerate, sondern dass ich euch in Gefahr bringe – und vielleicht auch die anderen.«
Nieve und Corvino tauschten erneut einen Blick.
»Komm schon, Jana«, sagte Letzterer sanft. »Das ist unfair und das weißt du auch.«
Einige Momente lang versuchte Jana, das heitere, schöne Gesicht des Wächters zu ergründen. Jetzt spiegelte sich in ihrer Miene nicht mehr Gereiztheit, sondern eine Mischung aus Verlegenheit und Anspannung. »Wenn das wirklich stimmt, beweis es mir«, bat sie. »Beweist es mir alle beide. Ich darf euch nicht verraten, was Argo mir gesagt hat, aber wenn ihr ihn mir ein paar Tage anvertraut, erzähle ich euch, was ich herausfinde – versprochen! Ich muss ein bisschen auf eigene Faust forschen. Ihr braucht euch keine Gedanken um ihn zu machen, ich habe ihn im Griff. Wenn er erst mal das Gefühl hat, ich würde sein Spiel mitspielen, kriege ich irgendwann raus, was er vorhat. Eine Woche – das ist alles, worum ich euch bitte. Beweist mir, dass ihr mir vertraut.«
Janas letzte Worte wurden mit eisigem Schweigen aufgenommen. Die gute Laune war schlagartig aus Nieves Gesicht gewichen und Corvinos Züge wirkten auf einmal wie erstarrt, als bemühe er sich sehr, seine Gefühle zu verbergen.
»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, murmelte Jana niedergeschlagen. »Das hätte ich mir ja denken können.«
Sie wollte schon aufstehen, aber Nieve ergriff ihre Hand, um sie zurückzuhalten. »Warte, Jana. Versuch, uns zu verstehen. Es wäre verantwortungslos von uns, dir Argo anzuvertrauen. Wenn dir etwas zustößt, würden wir uns das nie verzeihen.«
»Du kennst ihn nicht so gut wie wir«, fügte Corvino hinzu. »Du unterschätzt ihn. Du glaubst, du hättest ihn im Griff, weil er krank und verzweifelt ist. Du merkst nicht, dass ihn das nur noch gefährlicher macht.«
»Vier Tage.« Jana stand auf und sah Nieve flehend an. »Drei … Erlaubt mir, dass ich ihn mitnehme und herausfinde, worauf er hinauswill.«
»Erzähl uns, was er gesagt hat, dann entscheiden wir, ob es angebracht ist oder nicht«, verlangte Nieve entschlossen.
Faktisch bedeutete das ein Nein. Es war klar, dass Jana ihren Schwur nicht brechen würde.
Jana warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich dachte, wir wären Freundinnen. Ich bin hergekommen, weil ihr mich für den Deal mit Glaukos gebraucht habt. Vergiss bitte nicht: Wenn ich nicht bereit gewesen wäre, mit Argo zu sprechen, würde er jetzt noch in einem Varulf-Kerker sitzen.«
»Ein weiterer Grund, auf der Hut zu sein«, erwiderte Corvino, ohne die Ruhe zu verlieren. »Bestimmt
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