Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
Vom Netzwerk:
Gleiche zu tun.
    Als Jana wieder zum Tempel sah, fiel ihr das weiße Feuer auf, das ringförmig auf dem kreisrunden Altar aus grauem Gestein brannte.
    Ihr Herz schlug schneller. »Die Essenz der Macht«, murmelte sie.
    Argo hatte den Blick auf die Flammenkrone geheftet. Er schien sie nicht gehört zu haben.
    Als Jana seinem Blick folgte, entdeckte sie, dass jetzt jemand am Altarfeuer stand. Es war ein Mann mittleren Alters mit grau meliertem Bart.
    »Das ist Arawn«, erklärte Argo. »Der erste Wächter. Du siehst ihn im schwierigsten Moment seines Lebens. Er hat jahrelang nach diesem Buch gesucht und jetzt hat er es endlich gefunden.«
    Jana sah Argo verständnislos an. »Er hat es gefunden?«, wiederholte sie. »Wo ist es?«
    Argo hob majestätisch die rechte Hand und deutete auf den Feuerring oder vielleicht auf die Wand dahinter. »Dort, siehst du es nicht?«, antwortete er heiser.
    Jana nickte, auch wenn sie hinter der Feuerkrone nur Arawns Schatten sah, der sich riesengroß an der Tempelwand abzeichnete. Ein Schatten, der nach den Gesetzen der Natur dort gar nicht hätte sein dürfen. Was hatte das zu bedeuten? Je länger Jana ihn ansah, desto seltsamer und unnatürlicher kam er ihr vor. Da zersprang der Schatten plötzlich in tausend kleine Bruchstücke, die umherflatterten wie Vögel und sich auf der goldenen Wand für Sekunden zu einem rätselhaften Text zusammenfügten.
    Jana begriff: Das war das Buch und Arawn las es gerade.
    »Ganz recht, du hast das Buch der Schöpfung vor dir«, sagte Argo, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Arawn hat es hergebracht, um es zu vernichten. Er weiß, dass in diesem Buch alles enthalten ist, dass es die Ursache für die Seuche ist, die die Welt heimsucht, die Seuche, gegen die er sein Leben lang gekämpft hat; ich meine die Illusion des Wortes, die schreckliche Macht der Symbole. Wenn das Buch zerstört wird, wird auch diese Macht zerstört, und das bedeutet das Aus für die Medu-Klane, seine ältesten Feinde.«
    »Das geht doch gar nicht«, sagte Jana und machte einen Schritt auf den Tempel zu. »Wir wissen, dass er das nie getan hat, sonst wäre ich heute nicht hier.«
    »Halt! Geh keinen Schritt weiter, sonst setzt du dich unerträglichem Schmerz aus, der nicht mit Worten zu beschreiben ist. Arawn würde dich in Stücke reißen, wenn er deine Anwesenheit bemerken würde. Bleib bei mir und rühr dich nicht!«
    Jana wich erschrocken zurück. Auf der goldenen Tempelmauer hatten sich die flatternden Schattensplitter wieder zu Arawns majestätischer Silhouette zusammengefügt, exakt wie ein Spiegelbild.
    »Ich wollte, dass du diesen Moment miterlebst«, sprach Argo mit bitterem Unterton weiter. »Den Moment, als Arawn zu dem Teil des Buchs kommt, in dem es um seine eigene Geschichte geht. Ihm ist gerade klar geworden, dass er mit dem Buch auch sich selbst vernichtet. Das Opfer scheut er nicht, aber ihm ist gerade ein furchtbarer Zweifel gekommen: Wenn er zusammen mit dem Buch verschwindet, wird es sein, als hätte es ihn nie gegeben. Und jemand, den es nie gegeben hat, kann kein Buch verbrennen. Das Buch der Schöpfung könnte ihn also trotz all seiner Bemühungen überleben.«
    »Das ergibt keinen Sinn«, sagte Jana.
    Auf den Lippen des Wächters zeichnete sich ein ironisches Lächeln ab. »Genau das ist das Problem des Buchs: Es enthält alles, was je geschrieben wurde, und alles, was noch geschrieben werden wird, und das führt zu schrecklichen Widersprüchen. Wenn das Buch vernichtet wird, wird nichts davon gerettet. Oder vielleicht fängt dann alles wieder von vorne an. Sieh genau hin, Arawn liest weiter die Geschichte seines Lebens und jetzt ist er gerade bei genau diesem Moment angelangt. Verstehst du? Bei dem Moment, als das Buch vernichtet wird. Auch das steht darin geschrieben.«
    Jana betrachtete verwundert die Tempelwand, auf der sich Arawns Schatten erneut in viele kleine Schatten zersplittert hatte. Auf einmal waren die Zeichen viel dunkler als vorher und verschwommen. Ihre Umrisse veränderten sich, als wären sie flüssig, und sie schienen keinem der Alphabete anzugehören, die sie kannte.
    Arawn krümmte sich ganz offensichtlich vor Schmerzen, als wäre das, was diese Zeichen bedeuteten, für ihn nicht zu ertragen. Er vergrub das Gesicht in seinen großen, schmalen Händen, die Jana an Alex’ Hände erinnerten. So verharrte er lange Zeit, hin und wieder von einem leichten Schluchzen geschüttelt.
    »Endlich hat er begriffen«, seufzte Argo. »Wenn er das

Weitere Kostenlose Bücher