Illusion - das Zeichen der Nacht
ich würde dir glauben, dass du in all den Tagen nicht mal fünf Minuten Zeit hattest, um mich anzurufen oder meine SMS zu beantworten? Wahrscheinlich hast du nicht mal gesehen, wie oft ich es bei dir versucht habe.«
»Dort, wo ich war, hatte ich nicht immer Empfang.«
»Ach.« Jana war kurz davor auszurasten. »Verstehe. Wenn du willst, dass es ab jetzt so zwischen uns läuft, stelle ich mich darauf ein.«
Ihre Augen begegneten denen von Alex, die so blau und rein waren wie immer.
»Es tut mir leid, Jana.« Jetzt schien er plötzlich zu merken, dass sie allen Grund hatte, sauer zu sein. »Ich hätte wissen müssen, dass du dir Sorgen machst. Für mich ist die Beziehung zwischen uns so klar, dass ich nie denke, sie könnte in Gefahr geraten.«
»Und du bist auch nicht auf die Idee gekommen, dass ich vielleicht durchaus in Gefahr war? Du weißt doch, warum ich hergekommen bin. Du weißt, dass Argo mich sprechen wollte. Sogar Nieve war unruhig, Alex. Und du hast dich nicht mal erkundigt, wie es gelaufen ist!«
»Aber jetzt weiß ich’s. Vielleicht weiß ich sogar mehr als du.« Alex rückte ein Stück von Jana ab und sah ihr in die Augen. »Argo ist heute Nacht entkommen. Nieve und Corvino sind außer sich. Sie glauben, du hättest was damit zu tun.«
Jana spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. »Das kann nicht sein.« Sie blickte unwillkürlich zum Fenster. »Wenn er fliehen wollte, warum hat er mir dann das Auge gegeben? Warum hat er mich dann um Hilfe gebeten? Das ergibt keinen Sinn.«
»Vielleicht wollte er ja, dass Nieve dich verdächtigt. Und was ist das für ein Auge? Davon hat Nieve mir gar nichts gesagt.«
»Davon weiß sie nichts.« Jana lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kopfkissen und schloss die Augen. »Argo hat mich in den letzten Tagen davon zu überzeugen versucht, dass es ein sogenanntes ›Buch der Schöpfung‹ gibt und dass er mir helfen kann, es zu finden. Zuerst kam mir die Geschichte völlig absurd vor, aber er hat mir eins der versengten Augen von seinen Flügeln gegeben. Das Auge hat eine Vision bei mir ausgelöst.«
Sie machte die Augen wieder auf und verstummte, als sie bemerkte, dass Alex’ Miene sich plötzlich verdüstert hatte.
»Eine Vision?«, wiederholte er. »Was für eine Vision?«
Jana zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. »Ich habe einen Fluss und einen Tempel gesehen. Das war der Thot-Tempel, hat Argo gesagt. In der Vision waren wir zusammen, er und ich. Vor dem Tempel brannte ein heiliges Feuer und an der Wand hinter dem Feuer tanzten seltsame Schatten. Da war ein Mann, der die Schatten ansah. Es war Arawn.«
»Der erste Wächter«, sagte Alex nachdenklich.
Jana sah ihn aufmerksam an. »Er wollte das Buch vernichten. Das Buch, das waren die Schatten an der Wand, verstehst du? Aber dann hat er es doch nicht getan. Er hat begriffen, dass es zu mächtig ist und die Folgen unabsehbar sein würden. Da ist noch jemand anderes aufgetaucht: ein Kurilen-Magier namens Dajedi. Anscheinend hat er während der Renaissance hier in Venedig gelebt. Er hat die Techniken der Kurilen benutzt, um die Tempelszene in einer Vision zu sehen und das Buch zu kopieren. Und Argo weiß, wo diese Kopie ist, das behauptet er zumindest. Er glaubt, sie könnte ihm die Unsterblichkeit zurückbringen, und hat mich gebeten, ihm bei der Flucht zu helfen, damit er sie an sich bringen kann.«
»Dann hat er es sich offenbar anders überlegt.«
Die beiden musterten sich mehrere Sekunden lang stumm.
»Ich habe den Eindruck, du bist nicht besonders überrascht über das, was ich dir erzählt habe.« Jana klang misstrauisch.
»Das bin ich auch nicht«, gab Alex zu. »Ich habe auch Visionen gehabt. Aber ich wusste natürlich nicht so viel wie du.«
Jana stützte sich auf die Ellenbogen und sah Alex neugierig an. »Was hast du gesehen?«
Alex antwortete nicht sofort. »Das weiß ich gar nicht so recht, wahrscheinlich das Buch«, sagte er schließlich. »Aber es war in so einen dichten Schatten gehüllt, dass es gar nicht richtig zu erkennen war. Der Schatten war übernatürlich, ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Ich habe versucht, ihn zu verscheuchen, aber er ist immer zurückgekommen.«
Jetzt starrte er mit seinen hellen Augen an die Wand, seine Pupillen waren seltsam verengt. Jana begriff, dass er ihr etwas verheimlichte. Aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sie jetzt nicht weiterbohren durfte. »David hatte auch eine Vision«, sagte sie stattdessen. »Er
Weitere Kostenlose Bücher