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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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sandigen Geschmack des Auges, das Argo ihr gegeben hatte, den Moment, als es in ihrem Mund zu Krümeln zerfiel, kurz bevor es eine Vision in ihr ausgelöst hatte. Sofort spürte sie, wie diese Erinnerung die Verbindung zu ihm festigte, und ab da konnte sie Argos Flucht mit geschlossenen Augen verfolgen. Jetzt sah sie vor ihrem inneren Auge genau das Gleiche wie er.
    Der Wächter hatte keine Angst. Ein euphorisches Gefühl überkam ihn jedes Mal, wenn er nach unten sah, zu dem breiten Geflecht von Kanälen mit Palästen aus Marmor und Backstein an den Ufern, das sich zu seinen Füßen ausbreitete und immer weiter zurückblieb. Ein warmer Luftstrom hatte ihm geholfen, an Höhe zu gewinnen, und seine Flügel brachten ihn fast mühelos vorwärts, er brauchte sie nur weit auszubreiten, um im Wind zu segeln, und nur wenn der Auftrieb nachließ, musste er ein wenig nachhelfen.
    Plötzlich spürte Jana an der Hand, in der sie die Feder hielt, ein schreckliches Brennen. Der Kiel der Feder war flammend rot, als wäre er aus glühendem Eisen gefertigt, und so heiß, dass sie ihn kaum noch halten konnte.
    Jana biss die Zähne zusammen. Argo hatte das unsichtbare Band bemerkt, das sie zu ihm geknüpft hatte, und versuchte gerade, es abzuschütteln. Wenn sie die Feder losließ, würde die magische Verbindung abbrechen. Und das hieß, die Spur des Wächters zu verlieren. Das durfte sie nicht zulassen.
    Aber das Brennen an ihrer Hand wurde immer unerträglicher und ihre Haut würde nicht mehr lange mitmachen. Früher oder später würde sie aufgeben müssen.
    Doch als sie schon drauf und dran war, die Feder fallen zu lassen, wurde diese schlagartig kalt.
    Eine Welle der Angst schlug über Jana zusammen. Sie begriff sofort, dass diese Panik nicht aus ihrem eigenen Bewusstsein aufstieg, sondern aus dem des Wächters und dieser sie durch den Zauber, der sie beide weiterhin verband, an sie weitergab. Deshalb öffnete Jana sich dieser Angst und sah die Stadt erneut durch Argos Augen.
    Seine Aufmerksamkeit war auf eine Gondel auf dem Canal Grande gerichtet, die sich nicht von der Stelle rührte. Von diesem Boot aus verfolgte eine große, schlaksige Gestalt in einer grünen Regenjacke den Flug des Flüchtigen. Der Mann war zu weit weg, als dass Jana sein Gesicht hätte erkennen können, klar und deutlich sah sie jedoch den Köcher, der über seiner Schulter hing, und den Bogen, mit dem er nach oben zielte.
    Im selben Moment wie Argo begriff sie, dass es sich um Heru handelte.
    Vor Schreck riss sie die Augen auf und sah nach draußen. Argos Flügel bildeten ein dunkles V über dem Kanal, unweit der Kirchenkuppel von Santa Maria della Salute, unter ihm lag Herus Gondel, so regungslos, als wäre sie irgendwo verankert.
    Aus dem Bogen löste sich ein rot leuchtender Pfeil und beschrieb eine weite, genau berechnete Kurve, bevor er sich in Argos linke Seite bohrte. Jana spürte, wie er in ihr eigenes Fleisch schnitt, und ein unmenschlicher Schrei drang aus ihrer Kehle. So viel Schmerz konnte sie nicht ertragen. Es war, als stünde ihr ganzer Körper in Flammen.
    Sie ließ die Feder los. Voller Entsetzen verfolgten ihre Augen, wie der brennende Argo in die Tiefe stürzte. Es sah ganz danach aus, als würde er in den Kanal stürzen, aber kurz bevor er ins Wasser eintauchte, zerstob sein Körper in einer Explosion schwarzer Asche.
    Alles war vorbei. Das heilige Feuer von Herus Pfeil hatte den stolzesten der Wächter ein für alle Mal vernichtet. Argo, der so darum gekämpft hatte, die Unsterblichkeit wiederzuerlangen, war von einem seiner eigenen Leute getötet worden. Und er hatte alle seine Geheimnisse mit in sein luftiges Grab genommen.
    Argos Asche breitete sich rasch nach allen Seiten aus und legte sich wie ein dunkler Schleier über die Stadt. Es war, als breche der Abend heute früher herein als sonst.
    »Armer Argo.« Jetzt klang Nieves Stimme wieder wie die einer ganz normalen jungen Frau. »Und armer Heru. Ich wusste, dass er nicht weit sein konnte. Er hat uns alle immer beschützt.«
    Ihr Körper wurde von einem rauen Schluchzen geschüttelt und sie schlug die Hände vors Gesicht. Alex machte einen Schritt auf sie zu, aber Jana hielt ihn zurück.
    »Lass sie«, flüsterte sie und zog ihn sanft an sich. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn sie jetzt einfach weint.«
    —
    Das smaragdgrüne Licht des Hotelgartens fiel durch drei hohe rechteckige Fenster auf Janas Bett. Alex hatte ihr das Schlafzimmer der Suite überlassen und sich in den

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