Illusion - das Zeichen der Nacht
kleineren Raum zurückgezogen. Sie war eingeschlafen in der Hoffnung, er werde jeden Moment unter irgendeinem Vorwand auftauchen und zu ihr ins Bett schlüpfen, so wie er es oft machte. Aber diesmal war der Platz neben ihr leer geblieben.
Jana griff nach der Fernbedienung und schaltete kurz den Fernseher an, um nach der Uhrzeit zu sehen. Viertel nach zehn. Sie stellte ihn wieder ab und drehte sich enttäuscht um. Die Frühstückszeit war vorbei, jetzt würden sie sich anziehen und ein Café in der Nähe suchen müssen, wo es bestimmt keine frischen Croissants gab.
Sie wollte gerade duschen gehen, als jemand zweimal schüchtern an ihre Tür klopfte.
»Servizio da camera.« Die Stimme kam ihr vertraut vor. »Darf ich reinkommen, Signorina?«
Lächelnd machte Jana die Tür auf. Draußen stand Alex mit einem Wägelchen voller Obst, süßen Stückchen und Toastbrot, dazu zwei Porzellantassen, ein Krug Milch und eine Kaffeekanne.
»Den haben sie schon vor einer ganzen Weile gebracht und ich hab kurz bei dir reingesehen, aber du hast noch geschlafen«, erklärte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Bestimmt ist alles kalt, ich hätte dich wecken sollen.«
»Nicht so schlimm, ich mag Kaffee, auch wenn er kalt ist«, erwiderte Jana, während sie den Gürtel ihres Morgenmantels festzog. »Hmm, sieht das lecker aus!«
»Ich dachte, es tut uns gut, wenn wir uns erst mal stärken, nach der Sache von gestern.«
Sofort war Janas Lächeln wie weggewischt. »Ich habe Nieve noch nie so wütend erlebt.« Sie machte einen Schritt zur Seite, um Alex mit dem Wägelchen vorbeizulassen. »Und Heru möchte ich jetzt lieber nicht begegnen.«
»Ich ihm auch nicht. Ich glaube, auf mich ist er noch wütender als auf dich.«
Sie setzten sich in die Sessel vor der Fensterfront. Stumm schenkte Alex Kaffee ein und goss den von Jana genau mit der richtigen Menge Milch auf. Er wusste, wie sie ihren Kaffee am liebsten mochte.
»Das Ganze war ein Fehler«, sagte sie. »Ich will nicht wieder mit dir streiten, Alex, ich weiß, du hast gedacht, du tust das Richtige. Aber jetzt vertrauen sie uns nicht mehr und das bringt den Waffenstillstand zwischen den Wächtern und den Medu-Klanen in Gefahr.«
Sie warf zwei Würfel dunklen Zucker in ihren Kaffee, während Alex nachdenklich in seiner Tasse rührte.
»Argo wäre sowieso bald gestorben«, sagte er. »Es ging ihm sehr schlecht. Vielleicht war es besser so.«
»Besser? Für wen denn? Für die Agmar jedenfalls nicht. Wenn Nieve und Corvino sauer sind, geben die anderen Klane mir die Schuld daran. Glaukos und seine Leute reiben sich bestimmt schon die Hände.«
»Du denkst nur an deinen Klan?« Alex hatte die Stirn leicht gerunzelt. »Ich glaube nicht, dass das jetzt das Wichtigste ist, Jana, wirklich nicht.«
»Du wirst nie begreifen, was es heißt, einen Klan anzuführen«, hielt ihm Jana vor. »Ich habe Pflichten und trage große Verantwortung. Viele Leute sind von mir abhängig.«
»Du lebst in der Vergangenheit, Jana. Die Klane gibt es nicht mehr, zumindest nicht mehr in ihrer früheren Form. Wir führen auch keinen Krieg mehr, da sind keine Geheimnisse mehr, die geschützt werden müssen, keine Feinde, die überlistet werden müssen. Diese Zeiten sind vorbei.«
Mehrere Minuten lang kauten beide stumm ihren Toast. Jana hätte Alex gern geantwortet, er irre sich, es gebe in den verschiedenen Klanen noch viele Geheimnisse, die gehütet werden mussten, und die Gefahr nehme von Tag zu Tag zu. Aber das musste er doch selbst wissen – auch wenn er es nicht zugab.
»Ich würde gern Nieve anrufen«, sagte sie schließlich. »Vielleicht braucht sie etwas. Als wir uns gestern verabschiedet haben, hat sie ziemlich mitgenommen ausgesehen.«
»Corvino kümmert sich um sie«, erwiderte Alex mit einem Lächeln. »Und ich glaube, das macht er wirklich gern.«
Jana suchte seinen Blick. »Du hast es auch gemerkt, oder? Er ist verrückt nach ihr. Wie absurd, nachdem sie Hunderte von Jahren wie Bruder und Schwester zusammengelebt haben.«
»Die Wächter haben sich wahrscheinlich am meisten verändert, seit Erik tot ist.« Alex unterbrach sich, um ein paar Schlucke Kaffee zu trinken. »Corvino zum Beispiel. Anscheinend liegt ihm überhaupt nichts mehr daran, seine Sinne zu kontrollieren und sich nicht von ihnen versklaven zu lassen. Es ist, als würde ihm all das überhaupt nichts mehr bedeuten.«
»Sie hatten sich darauf eingestellt, alle Zeit der Welt zu haben. Aber jetzt sind sie
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