Illusion - das Zeichen der Nacht
Zeit deutlich verschoben hat. Die Gabe der Magie hat sich in der Welt ausgebreitet. Wir wissen nicht, warum, aber wir nehmen sie dankbar an. Doch was bedeutet das für die Rolle der Magier? Wir müssen unsere Kunst mehr vorantreiben denn je, neue Bereiche erforschen, die die Magie bisher nie betreten hat.«
Mit den Rosenblättern in der Hand richtete er sich auf und zeigte seinen Zuschauern feierlich den welken Rosenstiel. »Die letzte Grenze, meine Herrschaften, ist der Tod.«
Dann strich er mit der Hand, in der er die Blütenblätter hielt, über den welken Stiel. Als er sie zurückzog, hatte die Rose wieder alle Blätter, die vorher abgefallen waren, und erstrahlte in voller Blüte. Armand warf die Rose einer Frau in der ersten Reihe zu, die sie auffing und genüsslich ihren Duft einatmete. Das Publikum applaudierte begeistert.
Als der Applaus verstummte, ließ Armand ein künstliches Räuspern hören und sprach weiter. »Es gibt noch eine andere Grenze, außer dem Tod. Eine andere Grenze, die der Mensch normalerweise so gut wie nie erforscht. Ich meine die Wahrheit, meine Herrschaften. Und ich lade Sie ein, sie zum Abschluss der heutigen Vorstellung mit mir zu erkunden.«
Seine Augen wurden ein wenig schmaler, während er sie über die stummen Zuschauerreihen wandern ließ, um die Wirkung seiner Worte zu erfassen. »Bevor wir anfangen, muss ich Sie auf etwas hinweisen, auch wenn Sie das sicher bereits wissen: Die Wahrheit kann sehr gefährlich sein. Ich bitte Sie, denken Sie daran! Ich beantworte Ihnen jetzt gleich die ersten drei Fragen, die Sie mir stellen, und ich werde DIE WAHRHEIT antworten. Aber es gibt ein paar Regeln. Erstens: nur eine Frage pro Person. Zweitens: Stellen Sie eine Frage, deren Antwort wirklich lebenswichtig für Sie ist. Diese Bedingung ist ganz entscheidend, und wenn Sie sie nicht beachten, riskieren Sie, eine unangenehme Überraschung zu erleben. Versuchen Sie nicht, Wahrheiten herauszufinden, die Ihnen nur schaden können. Und als Letztes eine dritte Bedingung: Überlegen Sie sich gut, was Sie fragen wollen. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie die Antwort überhaupt wissen wollen, fragen Sie lieber nicht – denn der große Armand kennt alle Wahrheiten und zögert nicht, sie auszusprechen, wenn er dazu aufgefordert wird.«
Die letzten Hinweise des Magiers wurden mit nervösem Schweigen quittiert. Es war offensichtlich, dass seine Worte die Zuschauer beeindruckt hatten.
Plötzlich stand auf der anderen Seite des Mittelgangs und ein paar Reihen vor Alex und Jana der Mann auf, der in der Pause den jungen Freiwilligen beleidigt hatte. Die Arme in die Seiten gestemmt und in spöttischem Ton stellte er seine Frage: »Na, dann wollen wir mal sehen. Wenn du so viel weißt, warum sagst du mir dann nicht, wie die sechs Richtigen bei der nächsten Lottoziehung lauten?«
Seine Frau kicherte vergnügt und im Publikum erhob sich Gemurmel.
Zum ersten Mal seit Beginn der Vorstellung wurde Armand blass. Auf seiner Stirn tauchten zwei tiefe senkrechte Falten auf und sein Lächeln verschwand. »Sie haben eine bedauerliche Wahl getroffen, mein Herr«, antwortete er mit belegter Stimme. »Ich habe Sie doch ermahnt, sich genau zu überlegen, was Sie fragen. Es sollte etwas absolut Lebenswichtiges für Sie sein!«
»Und wer sagt dir, dass es nicht lebenswichtig für mich ist, im Lotto zu gewinnen?«, konterte der aggressive Typ mit einem Lachen.
Armand ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er etwas erwiderte. »Na schön«, seufzte er. »Wenn das wirklich Ihr Wunsch ist, werde ich Ihre Frage beantworten. Die sechs Zahlen, die bei der nächsten Lottoziehung den Hauptgewinn bringen, sind die auf dem Schein, den Sie sorgfältig in Ihrer Brieftasche verstaut bei sich tragen. Aber das hätten Sie nicht fragen sollen, denn jetzt ist Ihr Leben in Gefahr. Und die Frage, die Sie retten könnte, lautet: ›Welcher der Anwesenden wird heute Nacht versuchen, mich zu töten, um mir den Lottoschein mit den sechs Richtigen zu stehlen?‹«
Der Mann sah Armand völlig verdattert an. Seine ganze Selbstsicherheit schien mit einem Mal dahin zu sein. Noch im Stehen drehte er sich wütend zu seiner Frau um. »Das ist deine Schuld«, keifte er. »Ich habe nur gefragt, weil du es unbedingt wolltest. Ich kann nicht noch eine Frage stellen, das musst du jetzt machen.«
Die Frau sah ihn verachtend an und blieb stumm.
Der Lottospieler ließ sich bestürzt auf seinen Sitz fallen. Einige Zuschauer stellten aus Mitleid mit
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