Illusion - das Zeichen der Nacht
Glaskasten zu stehen und dich mit der Axt in der Hand bereitzuhalten, falls die Nummer schiefgeht. Ich werde genau drei Minuten in diesem eiskalten Wasser untergetaucht bleiben. Sollte ich nach dreieinhalb Minuten nicht herausgekommen sein, tu mir den Gefallen und zertrümmere das Becken mit der Axt da, um mich vor dem sicheren Tod zu retten. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme«, fügte er mit einem beruhigenden Lächeln ans Publikum gewandt hinzu. »Keine Sorge, Paolo wird mich nicht befreien müssen.«
Während der verdatterte Paolo bei dem riesigen Aquarium stehen blieb, ging Armand vorne daran vorbei und stellte sich neben die Kette. Sogleich machte Fiorino sich daran, sie mehrere Male um seinen Körper zu schlingen, angefangen bei den Knöcheln, bis hoch zur Brust. Er sicherte die Kette mit Vorhängeschlössern und vergewisserte sich, dass der Magier gut befestigt war, dann machte er ein Zeichen ins Leere und die Kette wurde nach oben gezogen. Sie war an zwei Stellen eingehakt, an Armands Knöcheln und an seinem Oberkörper. Als er direkt über dem Wasserbecken schwebte, wurde der Haken an seinem Rücken gelöst. Jetzt baumelte der Magier kopfüber von der Decke.
Nun wurde die Kette langsam wieder heruntergelassen. Wenige Sekunden später lag Armand auf dem Bauch im Wasser. Im Theater erhob sich nervöses Getuschel. Alle Lichter gingen aus, nur ein einziger blauer Scheinwerfer war auf das Aquarium gerichtet und auf den schwarzen Hintergrund der Bühne wurde eine Digitalanzeige projiziert, eine Stoppuhr, die mit ihrem beklemmenden Ticktack die Sekunden zählte.
Genau wie die übrigen Zuschauer hielt Jana die Luft an und beobachtete, wie im Lauf der Minuten Armands Gesicht erst rot wurde, dann dunkelrot und schließlich blau. An der Wasseroberfläche schwammen große Eisbrocken, um zu demonstrieren, wie niedrig die Wassertemperatur war. Eine Sekunde nach der anderen verstrich: Zwei Minuten siebenundfünfzig, achtundfünfzig, neunundfünfzig …
»Schluss jetzt! Holt ihn raus!«, ertönte plötzlich eine völlig hysterische Stimme.
Alex und Jana sahen erschrocken nach links. Das Geschrei kam von dem Platz, auf dem der unfreiwillige Freiwillige, den Armand angeheuert hatte, gesessen hatte.
Ein gelber Scheinwerfer glitt über die Sitzreihen, bis er an der des aufgebrachten Zuschauers stoppte, der die Nerven verloren hatte. Als der Lichtstrahl sein Gesicht erhellte, brach der ganze Saal in Überraschungsrufe aus. Der Kerl, der da herumtobte und sich dabei krampfhaft an einer überdimensionierten roten Axt festhielt, war kein anderer als Armand selbst.
Vom gleißenden Scheinwerferlicht geblendet, verstummte der Zauberkünstler und schloss die Augen. In seinem Gesicht spiegelte sich absolute Verblüffung. Manche Zuschauer standen auf, um zu sehen, was er nun tun würde, aber bevor es dazu kam, schwenkte der gelbe Scheinwerfer abrupt zur Bühne.
Und dort, vor dem Wasserbehälter, klatschnass und in ein buntes Strandtuch gewickelt, stand wieder Armand. Auf seinen noch ganz blauen Lippen trug er dasselbe zuvorkommende und leere Lächeln wie gerade eben und dicke Wassertropfen fielen aus seinem Haar und rannen über seine blonden Wimpern und seine blassen Wangen.
Das Publikum brach in Applaus aus; von verschiedenen Stellen des Theaters, auch aus den Logen, waren hastige Ovationen zu hören. Sekunden später flammte der riesige Leuchter aus Murano-Glas auf, der über den Parkettreihen hing. Alle Blicke wanderten wieder zu dem Platz, auf dem gerade eben noch Armand herumgeschrien hatte. Dort saß jetzt mit verwirrter Miene und einem Anflug von Angst in den Augen der junge Freiwillige namens Paolo. Er hielt noch die Axt in der Hand und schien von der wundersamen Verwandlung, in der er gerade die Hauptrolle gespielt hatte, überhaupt nichts mitbekommen zu haben.
Fiorino sprang leichtfüßig von der Bühne, lief durch den Mittelgang und blieb an der Reihe stehen, in der unter anderem Paolo, Alex und Jana saßen. »Kann ich sie bitte wiederhaben?« Er deutete auf die rote Axt, die der Freiwillige in der Hand hielt.
Der sah ihn hilflos an. Er schien nicht recht zu wissen, ob Fiorino wirklich ihn meinte.
»Die Axt«, flüsterte Alex ihm zu. »Du musst sie ihm zurückgeben.«
Als Paolo dem unbeirrten Assistenten die Axt reichte, schwoll der Applaus des Publikums noch mehr an.
»Zehn Minuten Pause«, verkündete Fiorino, während er die Axt zur Bühne schleppte. »Der große Armand muss sich von diesem einzigartigen
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