Illusion - das Zeichen der Nacht
ihm gleichzeitig die Frage, die ihn quälte, aber Armand brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Tut mir leid, meine Herrschaften. Sie fragen mich, wer versuchen wird, diesen Herrn umzubringen, aber ich kann Ihnen nicht antworten – denn diese Frage ist nicht von entscheidender Bedeutung für diejenigen, die sie gestellt haben. Ich könnte nur antworten, wenn das Opfer oder der Mörder sie stellt, aber das Opfer hat seine Chance bereits vertan und ich glaube nicht, dass der Mörder sich öffentlich präsentieren möchte.«
»Sie verkaufen uns für dumm«, sagte der Lottospieler mit unsicherer Stimme von seinem Platz aus. »Ein wirklich geschmackloser Witz. Ich werde Sie anzeigen, ich werde Sie vor Gericht bringen …«
»Seit wann ist schlechter Geschmack ein Verbrechen?«, fragte Armand mit übertrieben gehobenen Augenbrauen. »Wenn es das wäre, verehrter Herr, säßen Sie und Ihre Frau Gemahlin schon lange hinter Gittern.«
Das Publikum brach in Gelächter aus und die Anspannung löste sich. Es dauerte mehrere Minuten, bis die Gemüter sich beruhigt hatten. Der Mann mit dem Lottoschein blieb mit niedergeschlagenen Augen auf seinem Platz sitzen, rot vor Zorn, aber ohne ein Wort zu sagen. Offenbar fand er die Idee, Armand zu provozieren, jetzt nicht mehr so lustig.
»Sie haben gesehen, meine Damen und Herren, dass die Wahrheit unbequem oder sogar bedrohlich sein kann«, nahm Armand, nun plötzlich ernst, den Faden wieder auf. »Deshalb bitte ich Sie, es sich gut zu überlegen, bevor Sie die Hand heben und Ihre nächste Frage stellen. Hören Sie auf mich, das ist ein guter Rat.«
Grabesstille legte sich auf die Parkettreihen. Nach der beunruhigenden Antwort, die der erste Fragesteller erhalten hatte, schien niemand bereit, das Spiel des Magiers mitzuspielen.
Zu Janas Überraschung stand plötzlich Alex auf. »Ich habe eine Frage«, sagte er mit fester Stimme. »Wo ist Armand in diesem Moment?«
Es war überraschtes Gemurmel zu hören, vermischt mit einigen empörten Ausrufen. Angesichts der Umstände schien es vielen nicht ratsam, den Magier mit einer scherzhaften Frage zu provozieren.
Doch Armand wirkte nicht empört. Seelenruhig ließ er den Blick über die Reihen wandern, bis er bei Alex’ Gesicht angelangt war, und lächelte ihn unschuldig an. »Können Sie das genauer erklären, mein Herr?«, bat er höflich. »Ich glaube, ich habe Sie nicht richtig verstanden.«
»Sie sind nicht der echte Armand«, antwortete Alex herausfordernd. »Armand Montvalier war ein drittklassiger Zauberkünstler, der mit seiner tristen Show von Dorf zu Dorf gereist ist, um sich über Wasser zu halten. Doch dann muss etwas passiert sein … Jedenfalls verschwand er von der Bildfläche. Seine verkohlten Überreste liegen noch im Leichenschauhaus von Vicenza und warten darauf, dass sich Angehörige melden. Ich habe mir seine Leiche vor drei Tagen selbst angesehen; die Polizei hat nicht den geringsten Zweifel an seiner Identität.«
Wieder waren von manchen Zuschauern Geflüster, abgehackte Bemerkungen und Ausrufe der Überraschung zu hören, aber diesmal achtete Jana kaum darauf. Ihr Herz schlug rasend schnell und plötzlich spürte sie ein unerträgliches Brennen an den Schläfen.
Sie versuchte, sich klarzumachen, was Alex gerade gesagt hatte. Vor drei Tagen, als sie ihn Tausende von Kilometern entfernt geglaubt hatte, hatte er sich in Vicenza, nicht weit von Venedig, einen Leichnam angesehen. Das bedeutete, er hielt sich schon viel länger in Italien auf, als sie angenommen hatte, und war ihr aus dem Weg gegangen, hatte nicht einmal auf ihre Anrufe reagiert. Warum? Was für eine Erklärung gab es dafür? Seit wann war Alex Armand auf der Spur und warum hatte er sie nicht eingeweiht? Was verheimlichte er ihr eigentlich?
Diese Fragen drängten sich so in den Vordergrund, dass sie für einen Moment sogar Armand – beziehungsweise den falschen Armand – vergaß. Erst als der Magier sich räusperte, um auf Alex’ Vorhaltungen einzugehen, trat er wieder in ihr Bewusstsein.
»Ich erinnere mich an Sie, Herr Torres«, sagte Armand mit einem zynischen Lächeln, »ich erinnere mich genau an Sie, auch wenn ich zum Zeitpunkt unserer Begegnung nur ein körperloser Geist war, eine umherirrende Seele, die vom Wind des Schicksals in die Vernichtung geweht werden sollte und die sich mit allen Kräften dagegen wehrte, sich von ihrer sterblichen Hülle zu lösen. Es stimmt, ich war ein jämmerlicher Magier, das gebe ich zu.
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