Illusion - das Zeichen der Nacht
der Spaßvogel gewesen war, der ihn erst angerempelt und sich dann so geschickt aus dem Staub gemacht hatte. Doch um ihn herum waren nur Senioren und junge Pärchen aus seiner eigenen Gruppe, ein Pulk Touristen, von denen keiner ihn absichtlich gerammt oder falls doch, sich dann zumindest gleich zu erkennen gegeben hätte. Es war offensichtlich, dass er Alex nicht sehen konnte und nicht einmal seine Gegenwart wahrnahm.
Nach mehreren verzweifelten Versuchen, den Mann mit Rufen und Flehen, das Alex nicht einmal selbst hören konnte, auf sich aufmerksam zu machen, drehte er sich um und begann, sich völlig niedergeschlagen von den Touristen zu entfernen. Diesmal widersetzte die Haut des Nosferatu sich seinen Bewegungen nicht. Im Gegenteil, es war, als verliehe sie ihm Flügel, als ermöglichte sie ihm, so leicht über das Pflaster zu gehen, als würde er schweben. Er überquerte einen großen Platz mit fast symmetrischen Gebäuden, in dem Alex das Zentrum des jüdischen Ghettos wiedererkannte, und steuerte auf eine Seitengasse zu, wo er abrupt stehen blieb.
Er sah sich verwirrt um. Die Gasse war leer bis auf zwei Jugendliche, die gerade dabei waren, ein altes Haus zu betreten.
Beinahe hätte Alex aufgeschrien, als er das Mädchen erkannte. Jana.
Doch kaum hatte er seinen Blick auf den Jungen gerichtet, der sie begleitete, schlug seine Überraschung in Entsetzen um.
Er konnte nicht glauben, was er da sah. Oder besser gesagt, er wollte es nicht glauben.
Das konnte einfach nicht sein. Es war ein Irrtum, ein gigantischer Irrtum der Natur. Oder noch schlimmer, eine schreckliche Täuschung, ein Zauber der schlimmsten Sorte …
Denn Janas Begleiter, der Junge, der sich zerstreut mit einer Hand auf ihrer Schulter abstützte, während er mit der anderen den steinernen Türsturz abtastete, war kein anderer als er selbst. Oder zumindest sah er genauso aus wie er selbst. Wie Alex. Genauer gesagt, wie der alte Alex, der Alex, der sich frei bewegen und tun und lassen konnte, was er wollte.
Der Alex, der nicht in einem unheimlichen Körper feststeckte, in der Dunkelheit eines Gefängnisses in Menschengestalt, und der nicht tot, aber auch nicht wirklich lebendig war.
Drittes Buch
Das Buch des Todes
Kapitel 1
E ine liebevolle Berührung an ihrem Haar weckte Jana aus dem Tiefschlaf, in den sie kurz nach ihrer Rückkehr ins Hotel gefallen war. Eigentlich wusste sie gar nicht mehr genau, wann sie eingeschlafen war, nur noch, dass ihr wieder schlecht geworden war, kurz nachdem sie die Pralinen gekostet hatte. Alex hatte ihr geholfen, sich ins ungemachte Bett zu legen, und hatte ihr ein feuchtes Tuch auf die Schläfen gedrückt, ohne dass sie sich dadurch besser gefühlt hätte. Nach und nach, während Alex ihr beruhigende Worte zugeflüstert hatte, waren ihr die Augen zugefallen. Sie musste viele Stunden geschlafen haben, so steif wie ihre Arme und Beine sich anfühlten.
Als sie die Augen aufmachte, sah sie Alex, wie er am Bettrand saß und sie seltsam konzentriert beobachtete. Er wirkte frisch und ausgeruht und in seinen Augen tanzte ein sonderbares, leicht spöttisches Funkeln.
»Es wurde aber auch langsam Zeit, du Schlafmütze«, sagte er lächelnd. »Du hast mich eine Ewigkeit warten lassen.«
»Wie spät ist es?« Jana richtete sich auf und blickte auf die leuchtenden Ziffern der Zeitanzeige am Fernseher, der vor dem Bett stand. »Viertel vor fünf – abends! Du hast mich den ganzen Tag schlafen lassen?«
Alex zuckte die Achseln. »Dir war schlecht, weißt du nicht mehr?« Er ließ die Hand über Janas Haar gleiten. »Du musstest dich mal richtig ausschlafen. Aber ehrlich gesagt konnte ich es gar nicht erwarten, dass du aufwachst. Ich muss dir was erzählen, was Wichtiges. Ich bin vorhin auch noch mal eingenickt, hier neben dir, und da habe ich einen ganz ungewöhnlichen Traum gehabt. Ob du es glaubst oder nicht, Jana, aber ich denke, ich weiß jetzt, wo wir das Buch finden können!«
Jana sah zur Seite, zu dem Stück graublauen Himmel, das vom Fenster eingerahmt wurde. »Hast du eine Vision gehabt?«
»Ja, genau, eine Vision. Ich habe ein Haus gesehen, ein uraltes Haus, hier in Venedig. Ich weiß nicht, wie die Straße heißt, aber es war eine von denen, die vom Campo di Ghetto Nuovo abgehen. Die finde ich ohne Probleme.«
»Wenn es sie wirklich gibt.«
Alex runzelte die Stirn. »Traust du meinen Visionen nicht? Klar gibt es das Haus, es ist eine Art Museum, du wirst schon sehen. Wir müssen sofort hin, Jana. Sie
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