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Illusion - das Zeichen der Nacht

Illusion - das Zeichen der Nacht

Titel: Illusion - das Zeichen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena , Javier Pelegrin
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wie sie vorgehen wollten. Man merkte, dass er sich alles gut überlegt hatte. Vielleicht hatte er sich ja vorgenommen, sie mit seinem entschlossenen Handeln zu beeindrucken, ganz anders als noch gestern Abend. Na gut … Jana musste zugeben, dass er auf dem besten Weg dazu war.
    »Dieses Haus ist eines der wenigen Gebäude im jüdischen Ghetto, in dem noch einige Originalräume erhalten sind«, sagte die Frau, als sie oben ankamen. Aus ihrer Kunstlederhandtasche hatte sie einen Schlüsselbund gezogen und mühte sich mit dem Schloss der Tür ab, vor der sie stehen geblieben war. »Es wurde im 14. Jahrhundert errichtet und hat damals einem bekannten Rabbiner gehört. Viele Leute vertreten die Ansicht, dass die Legende vom Golem ihren Ursprung in diesem Haus hat und nicht in Prag, wie es in den Geschichtsbüchern steht.«
    »Warum?«, fragte Jana.
    Die Frau runzelte leicht die Augenbrauen, als sie sich nach Jana umdrehte. Ihre Finger kämpften immer noch mit dem Eisenschlüssel, der nicht richtig zu passen schien. »Das werdet ihr gleich sehen. Ich habe es euch ja vorhin schon gesagt: Dieses Exemplar entspricht nicht dem, was man gewöhnlich unter einem Buch versteht.«
    In diesem Moment ließ sich der Schlüssel endlich im Schloss drehen und die Tür öffnete sich mit einem Quietschen. Dahinter tat sich ein Gang mit Steinfußboden, gewölbter Decke und mehreren Türen auf der linken Seite auf. Die Bibliothekarin führte sie zur dritten Tür, nahm einen anderen Schlüssel und öffnete diesmal das Schloss im ersten Anlauf. »Bitte schön«, sagte sie, während sie vor ihnen eintrat. »Das hier ist das berühmte, zu Unrecht in Vergessenheit geratene Buch der Schöpfung.«
    Ehe sie ihr folgten, drehte Alex sich zu Jana um und zwinkerte ihr zu. Jana spürte einen Stich in der Magengegend. Ein so sonniges Gemüt hatte ihr Freund doch sonst nicht. Er war plötzlich wie umgekrempelt, als hätte ein Zauber Züge seiner Persönlichkeit zutage gefördert, die bisher verborgen gewesen waren.
    Jana zögerte, bevor sie den Bibliothekssaal betrat. Ein unbewusster Impuls veranlasste sie, in den Gang zurückzublicken, durch den sie gekommen waren, zu der offenen Tür, hinter der die Wendeltreppe lag. Auf einmal glaubte sie, auf der obersten Stufe die Silhouette von Alex zu sehen. Die Vision dauerte nur einen Sekundenbruchteil – eine graue Silhouette, die sich im Dämmerlicht des alten Hauses sofort wieder verflüchtigte. Vielleicht eine optische Täuschung. Dadurch, dass die Magie vor Kurzem neu verteilt worden war, kam es hin und wieder an den unvermutetsten Orten zu eigenartigen Phänomenen.
    Oder vielleicht war es nur eine simple Sinnestäuschung gewesen, etwas, das sie sich eingebildet hatte.
    »Kommst du nicht?«, fragte Alex aus dem Inneren des Saals.
    Als Jana über die Schwelle trat, fand sie sich in einem Raum wieder, der kahl war bis auf zwei riesige Regale, die in eine der Wände eingelassen waren und aussahen, als würden sie jeden Moment zusammenbrechen, sowie den Überresten eines Kamins gleich daneben. Ansonsten gab es nur noch eine Statue sowie einen Standspiegel mit einem geschnitzten Holzrahmen, der zu zwei Dritteln mit einem Tuch aus schwerem gelbem Brokat bedeckt war.
    Der Boden bestand aus weinroten Fliesen, die so abgenutzt waren, dass viele davon in der Mitte tiefer waren als an den Rändern, so als hätten sich ihnen die Spuren unzähliger Schritte eingeprägt. Zwei Energiesparlampen tauchten den Raum in gelbliches Licht. Die Fensterläden waren geschlossen und die Bibliothekarin schien nicht die Absicht zu haben, sie zu öffnen. Vermutlich war das nicht gestattet. Den uralten Büchern, die in den Regalen aufgereiht standen, tat es sicher nicht gut, für längere Zeit direktem Sonnenlicht ausgesetzt zu sein.
    Jana merkte, dass Alex’ Augen sich auf die Statue geheftet hatten.
    Es handelte sich um eine grobe Skulptur aus gebranntem Ton, etwa in Lebensgröße, die einen nackten Mann darstellte, ohne Haare auf dem Kopf, mit gebeugtem Rücken, die Hände an die Stirn gelegt. Das Auffälligste an ihr waren die unzähligen Symbole, mit denen sie von Kopf bis Fuß bedeckt war: Schaubilder, geometrische Darstellungen mathematischer Probleme, aber auch alte ägyptische Hieroglyphen sowie traditionelle Motive der Medu.
    »Das hier ist das Buch.« Die Bibliothekarin deutete mit einer theatralischen Geste auf die seltsame Skulptur. »Jetzt versteht ihr sicher, warum manche es ›Golem‹ nennen. Einer alten jüdischen

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