Illusion der Weisheit
Grundversorgung sowie die psychologische Betreuung auch minderjähriger Opfer sexueller Gewalt.
Auf diesen Teilbereich ihres Tätigkeitsfeldes und dessen psychologische Auswirkungen konzentrieren sich die Ermittlungen, da hier ein Anstoß für die Kette von Ereignissen, die zu ihrem Verschwinden geführt haben, vermutet werden kann.
So erscheint es als sicher, dass Dr. Colonna nach einigen Monaten des Aufenthaltes und der Tätigkeit am Gesundheitszentrum von Soacha einen gesteigerten Widerwillen gegen das gewalttätige Umfeld zeigte, dem die Bevölkerung ausgesetzt war, und immer größere Schwierigkeiten hatte, sich den Vorsichtsmaßnahmen der Mission unterzuordnen. Aufschlussreich sind diesbezüglich die Aussagen von Dolores Vargas, Krankenschwester im Gesundheitszentrum von Soacha.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Nach kurzer Zeit merkten wir alle, dass Francesca sich schwertat, innerlich Abstand von ihrer Arbeit zu nehmen. Vor allem die Erlebnisse der von den Paramilitärs vergewaltigten Frauen und Mädchen nahmen sie furchtbar mit.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie mich um eine nähere Erklärung meiner Aussage bitten. Eine Methode der Milizen, Angst und Schrecken zu verbreiten und ihre Macht über die Barrios zu behalten, ist systematische, gezielte sexuelle Gewalt. Francesca war von uns allen am meisten darüber schockiert und wollte den vergewaltigten Mädchen und Frauen nicht nur psychologische Hilfe leisten. Sie setzte alles daran, sie zu einer Anzeige zu bewegen und die Desplazados davon zu überzeugen, sich zusammenzutun, um ihre Rechte einzufordern und sich den Übergriffen zu widersetzen. Da war vor allem eines (neben der systematischen Ausübung sexueller Gewalt natürlich), mit dem Francesca sich einfach nicht abfinden konnte, nämlich die Ächtungslisten der Paramilitärs.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie mich um eine Erläuterung der Funktion besagter Listen bitten. Es muss gesagt werden, dass die Milizen (deren Identität normalerweise nicht bekannt ist, weil sie im Untergrund leben und für gewöhnlich maskiert sind, wenn sie in den Straßen der Stadt auftauchen) für Rauschgifthandel, Erpressung und die Unterdrückung jeglicher Art politischer oder gewerkschaftlicher Vereinigungen stehen. Jeder, der in Verdacht steht, mit den Linken oder den Gewerkschaften zu sympathisieren, oder den Mut hatte, paramilitärische Übergriffe der Polizei zu melden, landet auf einer sogenannten Ächtungsliste. Diese Listen werden an den Türen der betroffenen Personen angebracht, was gleichbedeutend mit einem Ausstoß ist.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Ja, Sie haben richtig verstanden. Wer eine solche Liste erhält, muss binnen achtundvierzig Stunden sein Haus und das Barrio , in dem er wohnt, verlassen. Die Paramilitärs führen in den folgenden Tagen Kontrollen durch. Ist der Empfänger der Liste dem Befehl nicht nachgekommen, wird er auf der Stelle hingerichtet. Frauen und Mädchen werden systematisch vergewaltigt und häufig in die Prostitution gezwungen.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Mit einem Einschreiten der Polizei ist kaum zu rechnen, sie verharmlost diese Fakten. Hinzu kommt, dass die Identität der Paramilitärs und ihrer Anführer unbekannt ist. Es lässt sich lediglich mit Gewissheit sagen, dass zumindest in den ärmsten Barrios einzig das Gesetz der kriminellen Banden gilt.
ANTWORTET AUF NACHFRAGE: Ich bestätige, dass Francesca eigentlich von Anfang an einen heftigen Widerwillen gegen all das hegte. Natürlich fanden wir diese Zustände alle entsetzlich, doch für Francesca war es anders. Am liebsten hätte sie die Entrechteten der Barrios zur Rebellion angestiftet, und daraus machte sie keinen Hehl. Mehrfach wurde sie ermahnt, ihre Bestrebungen zu unterlassen, durch die sie nicht nur sich selbst, sondern die ganze Mission gefährdete.
Die von Signora Vargas und den anderen Zeugen gemachten Angaben zeichnen ein durchaus beängstigendes Bild der im Zentrum von Soacha herrschenden sozialen und kriminellen Gegebenheiten.
Dort regiert eine geheimnisvolle, erbarmungslose und nicht greifbare kriminelle Struktur, deren bedrückende Ähnlichkeit mit den mafiösen Gruppierungen im Süden unseres Landes sich förmlich aufdrängen: Omertà, einschüchternde Macht der Bindung an die Vereinigung, militärische Kontrolle der illegalen Geschäfte und des Territoriums, gewaltsame Unterdrückung bei versuchtem Widerstand oder bei Anzeigeerstattung.
Francesca Colonna konnte
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