Illusion der Weisheit
bestimmt die aus Villaggio Sant’Antonio«, meinte Filippo.
Die anderen nickten verstört.
»Und wer sind die?«, fragte ich ebenso grimmig. Als bräuchte ich diese Information, um einen baldigen, gnadenlosen Gegenschlag auszuführen.
Die aus Villaggio Sant’Antonio waren eine Gruppe Jungs, die ein bisschen älter waren als wir. Sie wohnten ein paar Kilometer vom Borgo dei Pioppi entfernt in einem Wohnviertel, das, wie gesagt, Villaggio Sant’Antonio hieß. Sie hatten allesamt Mopeds, tranken Bier, rauchten Zigaretten und vielleicht noch anderes. Sie taten sich gerne dicke und waren ziemlich üble Burschen.
Ihr Anführer war ein gewisser Mario. Er war sechzehn, groß, kräftig und gemein und konnte Full-Contact- Karate. Über ihn kursierten einige Geschichten, und keine davon war erfreulich. Unter anderem hieß es, er hätte sich mit einem Zwanzigjährigen in den Haaren gehabt und ihn mit gebrochenem Nasenbein ins Krankenhaus befördert.
Ich hatte nicht die geringste Lust, Mario und seine Freunde kennenzulernen. Doch ich war nun einmal der Anführer und musste meinen Leuten Mut machen. Also versuchte ich genauso unerbittlich zu klingen wie vorher, doch irgendwie war meine Stimme nicht mehr ganz so fest.
»Wenn ihr mich fragt, ist das Schwachsinn. Wieso sollten diese Arschlöcher aus dem Borgo Sant’Antonio …«
» Villaggio Sant’Antonio«, korrigierte mich Marino, was mir aus irgendeinem Grund ziemlich gegen den Strich ging.
»Na schön, Villaggio oder Borgo, ist doch das Gleiche. Wieso sollten die bis hierher kommen und völlig grundlos so ein Chaos anrichten?«
Die geradezu zwingend einleuchtende Antwort kam von Cristina.
»Weil’s Arschlöcher sind.«
Ich wollte etwas erwidern, die ganze Situation machte mich ziemlich nervös, doch Cristinas Antwort war nur schwer etwas entgegenzusetzen. Also ließ ich es bleiben. Eine leise, mulmige Unruhe überkam mich.
»Na gut, was soll’s. Jetzt bauen wir alles wieder auf, und dann halten wir abwechselnd beim Lager Wache.«
»Wache halten?«, fragte Maurizio krächzend. »Was soll das heißen, ›Wache halten‹?«
»Das soll heißen, dass wir abwechselnd das Lager bewachen, damit so etwas nicht noch mal passiert.«
»Und was geschieht mit der Wache, wenn die auftauchen?«
Noch ein schlagender Einwand. Mein Ansehen als Anführer bekam plötzlich schwere Kratzer. Während ich noch nach einer passenden Antwort suchte, hörten wir Motorroller näher kommen. Wenige Sekunden darauf tauchten drei auf dem Weg auf, der zu unserer ehemals geheimen Lichtung führte. Eindrucksvoll bedrohlich fielen sie in die Lichtung ein, ließen Erde und Piniennadeln aufwirbeln und erfüllten die Luft mit dem Gestank nach heißem Gummi und Auspuffgas.
Obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte, erkannte ich Mario sofort. Niemand wäre darauf gekommen, dass er erst sechzehn war. Er sah eher aus wie ein Langzeitstudent. Er trug schon Vollbart, war über eins achtzig und hatte muskulöse Arme und kräftige, behaarte Schenkel.
»War das euer Scheißlager?«, fragte einer der drei.
Niemand von uns antwortete.
»Wenn ihr hier ein Lager im Wald aufschlagen wollt, müsst ihr Schutzgeld zahlen«, sagte der andere. »Sonst kommt immer wieder jemand daher und macht es euch kaputt. Kein Schutzgeld, kein Lager.«
Mario sagte nichts. Er saß auf seinem Moped, die Arme auf den Lenker gestützt, und sah uns an. Am liebsten wäre ich ganz weit weg gewesen, zumal meine Freunde erwarteten, dass ich etwas tat, und ich wusste, dass ich nicht drum herumkommen würde. In dem Moment begriff ich, dass Anführer sein auch äußerst lästige Dinge beinhaltet.
»Was wollt ihr von uns?«, fragte ich schließlich und nahm all meinen Mut zusammen.
Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass meine Stimme nicht mehr sonderlich bestimmt klang. Und dass meine Frage genau genommen völlig sinnlos war. Was sie wollten, hatten sie uns gerade gesagt: Sie wollten uns erpressen. Sie wollten, dass wir bezahlten, damit sie uns in Ruhe ließen.
Statt zu antworten, gab mir der Typ eine Ohrfeige. Die erste Ohrfeige meines Lebens. Meine Eltern hatten mich nie geschlagen, im berechtigten Glauben, man könne einen kleinen Jungen auch ohne physische Gewalt unglücklich machen.
Ich griff mir an die Wange, sprachlos. Entsetzt. Er verpasste meinem Fahrrad, das auf seinem Ständer stand, einen Tritt und ließ es krachend zu Boden fallen.
»Wetten, ich schmeiß dich auf den Boden und schiff dir ins Gesicht?«
Dabei knöpfte er
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