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Illusion der Weisheit

Illusion der Weisheit

Titel: Illusion der Weisheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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fremd.
    Dieses Gefühl wurde so unerträglich, dass ich die Flucht ergriff. Wie ein Erwachsener drückte ich beiden die Hand und sagte, ich müsse meine Sachen packen und hätte keine Zeit mehr. Sie wollten noch mal vorbeikommen und mir auf Wiedersehen sagen, doch ich hielt sie mit einer Ausrede davon ab. Ich wollte nicht, dass sich die unerträglich betretene Traurigkeit dieses Abschieds noch länger hinzog.
    Jetzt blieb nur noch Benito. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es schaffen würde, mich von ihm zu verabschieden. Mama wollte gleich nach dem Mittagessen kommen, und Benito war den ganzen Tag unterwegs und kam erst am späten Nachmittag wieder nach Hause.
    Panisch trat ich in die Pedale: Ich spürte, dass ich zu spät dran war, auch wenn ich nicht wusste, wofür. Ich erreichte die Hügelkuppe und sah das weiße Gehöft zwischen den braunen Konturen der Erde liegen. Die Tenne war leer, die Wolken ließen die letzten Himmelsflecken verschwinden, aus unsichtbarer Nähe erklang der Ruf eines Roten Milans. Die Luft roch nach Regen.
    So schnell ich konnte, raste ich den letzten Abhang hinunter, um die Angst und die Einsamkeit nicht zu spüren. Als ich das Fahrrad zu Boden warf, trat Benito aus dem Haus.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Du fährst heute.«
    Das war keine Frage. Ich fragte ihn nicht, woher er das wusste. Wieder nickte ich. Wortlos blickten wir uns an. Wie damals auf der Lichtung.
    »Wir beide werden uns nie wiedersehen. Das weißt du, oder?«
    Ich wollte schon Nein sagen, natürlich würden wir uns wiedersehen. Ich würde nächsten Sommer wiederkommen, wir würden den Unterricht fortsetzen und so weiter und so fort.
    Doch ich sagte nichts. Ich wusste, dass wir uns nie wiedersehen würden. Benitos Mundwinkel zuckte unmerklich in die Höhe, gefolgt von einem ebenso unmerklichen Nicken. Damit gab er mir zu verstehen, dass ich eine Prüfung bestanden hatte: Ich hatte ihm Respekt gezollt.
    Er bat mich ins Haus, in dem ich nie gewesen war. Dann ließ er mich am Tisch Platz nehmen, der in der Mitte des Raumes stand, nahm eine Flasche mit rotem, öligem Wein, auf der kein Etikett klebte, und goss zwei Gläser ein.
    »Ich muss dir etwas geben.«
    Es war der Stock vom Tag auf der Lichtung. Er reichte ihn mir mit einer knappen, feierlichen Geste und sagte, jetzt könnten wir trinken. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Wein trank. Er schmeckte herb und pelzig. Ich mochte ihn nicht, doch ich trank ihn aus, als wäre es Medizin.
    »Und nu geh«, sagte Benito fast ungehalten.
    Zum letzten Mal fuhr ich den Weg hinauf, dann die Gemeindestraße entlang zur Landstraße. Nur ein einziges Auto kam mir entgegen, sonst war alles ringsum verlassene Ödnis.
    Als ich den Borgo dei Pioppi erreichte, blieb ich nicht stehen. Mit blindem Zorn trat ich in die Pedale und fuhr weiter bis nach Villaggio Sant’Antonio, wo ich mich vorher nie hingetraut hatte. Das Tor stand offen, es war kein Portier oder Wachmann zu sehen.
    Ich hatte keinen Schimmer, was ich dort wollte, doch ich hatte meine Wut im Bauch, meinen Stock im Gürtel und ein Glas fünfzehnprozentigen Wein im Blut.
    Ich fuhr die ganze Siedlung ab, die sehr viel größer war als unsere, fast ein kleines Dorf. Die Straßen waren menschenleer. Es war Anfang September, und die Feriengäste waren fast alle abgereist. Nur eine alte Frau mit einem Kinderwagen und eine junge Frau aus dem Osten, die ihren greisen Besitzern in irgendeiner Villa Gesellschaft leistete, liefen mir über den Weg.
    Von Mario und seinen Freunden keine Spur: Bestimmt waren sie auch in die Stadt zurückgekehrt oder saßen einfach nur zu Hause beim Essen.
    Ich dachte, dass ich sie nur ein einziges Mal gesehen hatte, an jenem Tag auf der Lichtung. Ich dachte, darin müsse ein Sinn verborgen liegen, doch ich wusste nicht, welcher.
    Langsam gondelte ich die leeren Siedlungsstraßen zurück. Jetzt waren auch die alte Frau und das Ost-Mädchen verschwunden.
    Ich fuhr zur Villa. Zum letzten Mal.
    Noch war der Regen nicht gekommen, vielleicht, weil der Wind aufgefrischt hatte.
    Vor dem Tor sah ich von Weitem das Auto meiner Mutter stehen.

Das Paradoxon
des Polizisten

Ein Mann um die dreißig sitzt hinten in einer Bar an einem Tisch. Es sind wenige Gäste da, das Licht ist schummrig; der Mann hat einen Cappuccino vor sich.
    Ein paar Minuten später kommt ein zweiter, sehr viel älterer, aber rüstiger und agiler Mann mit kurzem Haar, weißem Schnurrbart und leicht schräg

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