Iloo - Die andere Welt (German Edition)

er. »Rainer Kornmänger. Ich hatte einen Autounfall.«
    Dr. Tieserhoff zog seine Brauen hoch und sah in seine Mappe. »Können Sie sich daran erinnern, welches Auto sie gefahren haben?«
    Inolak schwieg einen Moment. Er wusste noch nicht einmal, was ein Auto eigentlich war. Es musste wohl ein Transportmittel sein. »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Wo wohnen Sie?«, fragte Dr. Tieserhoff weiter. »Sind Sie verheiratet? Leben Sie allein?«
    »Ich ... ich ... weiß es nicht.«
    »Sie wissen es also nicht. Wer ist Inolak?«
    »Inolak bin ... Ich weiß es nicht.«
    Tieserhoff blickte von seiner Unterlage auf. »Ich kenne viele Beispiele für Amnesie. In Ihrem Fall jedoch hab ich eher das Gefühl, als hielten Sie ganz bewusst Informationen zurück. Warum tun Sie das? Ich will Ihnen doch nur helfen. Also: Erzählen Sie mir etwas über Inolak oder Iloo.«
    Inolak begriff, dass er diesen Leuten nicht vorspielen könnte, dieser Kornmänger zu sein. Er hatte einfach keine Ahnung von dieser Welt. Wahrscheinlich hatte er nur dann eine Chance, wenn er die Karten auf den Tisch legte. Er sah, dass ihn Vanessa neugierig ansah. »Senke gefälligst deinen Blick in meiner Gegenwart, Dienerin!«
    Vanessas Gesicht verzog sich ungläubig. Wut spiegelte sich in ihren Zügen. »Was fällt Ihnen ...«
    Tieserhoff winkte mit der Hand ab und sah Inolak offen an. »Warum möchten Sie nicht, dass Schwester Vanessa Sie ansieht?«
    »Weil es sich für eine Dienerin nicht gehört, einen Mann anzustarren.«
    »Dienerin? Schwester Vanessa ist ganz gewiss keine Dienerin. So etwas gibt es bei uns überhaupt nicht.«
    »Wie Sie Ihre Frauen nennen, ist mir im Grunde egal, aber es ist Ihnen nicht erlaubt, einen Mann - und erst recht nicht ihren Herrn - anzustarren. Es wundert mich, dass Sie das so gelassen hinnehmen und sie nicht züchtigen.«
    »In Iloo werden Frauen also gezüchtigt?«
    Inolak fühlte sich in die Enge getrieben. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Sollten wir dieses Katz- und Mausspiel nicht beenden? Sie machen auf mich keinen verwirrten Eindruck, aber Sie wissen nicht, was ein Auto ist, wissen nicht, wo Sie wohnen. Die paar Brocken, die Sie mir hingeworfen haben, haben Sie vorher aufgeschnappt und sich gemerkt. Sie sind intelligent, aber Sie sind nicht Rainer Kornmänger, oder?«
    »Das ist mein Name.«
    »Wie hießen Ihre Eltern? Wo sind Sie zur Schule gegangen?«
    »Ich kann doch nichts dazu, dass ich mein Gedächtnis verloren habe!«
    Tieserhoff lächelte. »Man kann nur verlieren, was man einmal gehabt hat. Sie wissen nichts über Rainer Kornmänger. Wer sind Sie?«
    Inolak schwieg einen Moment und kaute nervös auf seiner Unterlippe. Schließlich fasste er einen Entschluss. »Ich bin Inolak, Wissenschaftler der Wissenschaftler-Gilde auf Iloo. Es hat in meinem Labor eine heftige Explosion gegeben und ich wurde bewusstlos. Als ich wieder wach wurde, befand ich mich in diesem Körper. Mehr weiß ich nicht.«
    Dr. Tieserhoff machte sich schnell eine Notiz. Er hatte schon oft Menschen in geistiger Verwirrung erlebt, doch hier sah alles ganz anders aus. Der Mann machte nicht den Eindruck eines verwirrten Menschen – er schien viel eher ein Wesen in einer für ihn fremden Umgebung zu sein. Doch, war das wirklich möglich? Es würde bedeuten, dass hier eine Art von Seelenwanderung stattgefunden hatte. Dr. Tieserhoff gehörte nicht unbedingt zu den Mystikern, die überzeugt davon waren, dass Seelenwanderungen an der Tagesordnung waren, doch hatte er in seiner Eigenschaft als Psychologe erleben müssen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die sich einer Erklärung durch die klassische Medizin entzogen.
    »Bitte erzählen Sie mir von Iloo«, forderte er Inolak auf und spielte das Spiel mit.
    Inolak sah ihn an und begann zu sprechen.
    Eine Stunde später war Dr. Tieserhoff überzeugt davon, dass die Persönlichkeit dieses Patienten nicht mehr identisch mit der Person war, die den Autounfall erlitten hatte. Zu detailliert und exakt waren die Darstellungen der Welt, die Inolak vor ihm ausgebreitet hatte. Er beschrieb eine fremdartige Kultur, die entwicklungstechnisch irgendwo zwischen den Jahren 1900 und 1960 auf der Erde lag und gesellschaftspolitisch irgendwo im 19. Jahrhundert. Niemand, der eben erst aus dem Koma erwacht war, konnte sich eine solche Geschichte ausdenken, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Dieser Mann war Inolak aus der fremden Welt Iloo und nicht Rainer Kornmänger. Er fragte sich, wie er sich nun