Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
im Gegenzug wissen.
„Dein Bruder hat unseren Plan ein bisschen durcheinander gebracht. Wir mussten in diesem alten Wald sozusagen notlanden. Aber das macht nichts. Auch er und die anderen müssen bis zum himmlischen Hafen. Das Schwanenschiff kann schließlich nur bis zum Rand der Schluchten segeln. Wir werden sie im Wald abfangen. Man nennt ihn den Wald ohne Namen.“
„Sind wir jetzt schon in Kutraija?“
„Ja, natürlich.“
„Warum tut Ihr das?“
Estarius sah Fay einen Moment überrascht an. „Ausgerechnet du fragst mich das? Ich könnte dieselbe Frage an dich richten.“
Fay schwieg.
„Verstehst du, ich habe nichts gegen Miray. Ich wähle die Menschen, die mein Herz tragen dürfen, immer sehr genau aus. Ich bestimme nicht irgendwelche unreifen Seelen dafür. Miray ist eine alte Seele. Er hat schon sehr viel erlebt und getan. Ich hätte ihm das Herz gerne überlassen. Aber es gehört mir, und ich brauche es jetzt.“
„Und Ihr wollt es wirklich den Gesichtslosen geben? Wolltet Ihr das nicht all die vielen hundert Jahre verhindern?“
Estarius schwieg und richtete den Blick seiner großen Elbenaugen auf die vier Gesichtslosen, die stumm zwischen den hohen Bäumen standen.
„Du kannst dir das vielleicht nicht vorstellen, Fay, wie es ist, wenn man so lange Zeit gegen einen Feind kämpft“, flüsterte Estarius. „Irgendwann werden Dinge unwichtig. Man ändert seine Einstellung, beginnt zu vergessen, und man möchte nur, dass es endlich aufhört.“
„Aber wenn Ihr ihnen das Herz überlasst, wird es niemals aufhören.“
„Du und ich, Fay, wir haben uns irgendwann einmal für einen anderen Weg entschieden. Vielleicht nicht gleich, und ich war früher sicher viel stärker als du. Aber schlussendlich haben wir unsere Kraft verloren, und gewisse Dinge sind uns gleichgültig geworden. Ich habe mich immer davor gefürchtet, dass das passieren könnte. Nichts ist schlimmer im Leben, als wenn du das Ziel, für das du kämpfst, aus den Augen verlierst, und die Dinge anfangen, unwichtig zu werden und ihren Reiz verlieren. Aber man kann nicht ewig an einem Ziel festhalten, das man nie erreicht. Man beginnt zu vergessen wie es ist, zu siegen. Und wenn man sich das nicht mehr vorstellen kann, dann verliert man den Glauben daran. Man ist machtlos dagegen.“
Fay lief ein Schauer über den Rücken. Sie wusste nicht genau, wovon Estarius sprach, aber sie nickte trotzdem.
„Später, wenn du älter bist, wirst du verstehen, was ich dir damit sagen wollte“, fügte der Elbenkönig seiner Rede hinzu. „Aber jetzt sollten wir aufbrechen. Es wird Zeit.“
Sie erhoben sich, und die Grauen Hexer riefen ihre großen Pferde aus den Schatten. Estarius stieg auf einen mageren Grauschimmel und hielt Fay die Hand entgegen.
„Steig hinter mir auf“, forderte er, und Fay zog sich an seiner Hand nach oben.
Wenig später jagten sie in einer dichten Formation durch den Wald ohne Namen.
*
„Ich kann es nirgends sehen“, meldete Jonkanur seinen beiden Passagieren, die mit angestrengten Augen nach dem Schiff des Himmelsmeisters Ausschau hielten. Das Nebelmeer war bei dem heftigen Orkan in alle Winde zerstreut worden, und hohe Gewittertürme hatten sich über den Schluchten aufgebaut, die in regelmäßigen Abständen in den Himmel hinaufragten.
„Vielleicht sind sie abgestürzt“, äußerte Miray eine erschreckende Vermutung. Er biss sich auf die Lippen. Es war gedankenlos gewesen, das Medaillon zu benutzen. Er hätte es wohl besser nicht getan.
„Wir werden sie schon finden“, versuchte Nevantio den jungen Königssohn zu beruhigen, obwohl ihm selbst mulmig zumute war. Er wusste, dass das Schiff nur auf der Wolkendecke entlangfahren konnte, die die tiefen Schluchten normalerweise überspannte. Aber diese Wolkendecke hatte sich jetzt in hoch aufragende Schlechtwetterwolken verwandelt.
„Ich vermute, dass sie irgendwo weiter oben gestrandet sind. Nur keine Sorge. Meine Augen sind immer noch so scharf wie früher. Ich bin mir sicher, dass ich sie jeden Moment aufgespürt haben werde“, meinte auch der schwarze Drache in gutmütigem Tonfall.
Dunkelgraue Quellwolken plusterten sich zu ihrer rechten Seite auf, und ein geäderter Blitz flackerte über die breite Flanke.
„Das sieht gar nicht gut aus“, gab Miray zu bedenken. „Wir sollten nicht in ein Unwetter
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