Im Abgrund der Ewigkeit
erhellt. „Das musst gerade du sagen!“ Er schwieg kurz und fuhr dann fort. „Du hättest doch das Gleiche für mich getan! Es tut mir nur unendlich leid, dass ihr mich jetzt so sehen müsst. Dieses Monster – das ist mein wahres Ich. Und ich werde in die Hölle zurückkehren, wohin ich schon immer gehöre.“
Ich ergriff Asmodeos Hand, deren Konturen immer mehr verschwanden. „Nein“, hörte ich mich sagen. „Dein Platz ist schon lange nicht mehr in der Hölle. Dein Platz ist bei uns.“
Ohne uns weiter absprechen zu müssen, packten Johannes und ich jeweils einen von Asmodeos Armen, legten sie uns über die Schultern und begannen, ihn mitzuziehen. Wir schleiften ihn quer durch den Saal, bis hin zu der Treppe, die steil aufwärts führte. Sein Gewicht lastete schwer auf uns, aber wir ließen uns nicht beirren und nahmen stattdessen stoisch eine Stufe nach der anderen.
Asmodeo stöhnte und wand sich, aber nicht, weil ihm die Bewegung an sich Schmerzen bereitete. Vielmehr veränderte sich sein Körper. Seine Muskeln bildeten sich zurück, seine Haut wurde heller. Sofort war sie mit großen Brandwunden übersät. Er konnte die Qualen nicht mehr ertragen, er keuchte und schrie.
Schweiß rann mir über Gesicht und Rücken. Meine Lungen stachen. Mein Atem ging rasend und stoßweise. Und doch durften wir nicht nachlassen. Asmodeo blieb kaum noch Zeit. Wir mussten es bis nach oben schaffen. Ich wusste nicht, welche Strecke noch vor uns lag, aber ich war entschlossen, nicht aufzugeben.
Ein rotgoldenes Licht erschien in greifbarer Nähe. Wir wuchteten Asmodeo hoch, sein Körper war nur noch die Ahnung eines Wesens. Ich beugte mich vor, küsste den Schemen auf die Lippen und schubste ihn entschieden von mir fort in den bernsteinfarbenen Strudel hinein, der ihn augenblicklich verschluckte.
„Haben wir es geschafft?“, fragte Johannes, mit von übermenschlicher Anstrengung heiserer Stimme.
Ich schüttelte den Kopf, während ich von Angst und Hoffnung innerlich fast zerrissen wurde. „Ich weiß es nicht. Vielleicht hätten wir schneller sein müssen.“
Johannes nahm meine Hand und legte den Arm um meine Schultern. Schweigend stiegen wir gemeinsam noch einige Stufen empor.
„Hörst du das?“, fragte Johannes.
Ich war zu müde. Ich wollte nur schlafen, oder besser noch, sterben. Ich war einfach am Ende.
„Hörst du das Piepsen?“, wiederholte Johannes.
Von Ferne drang ein rhythmisches Signal zu mir hindurch. Ich wandte mich Johannes zu und beobachtete staunend, wie sich sein Körper ins Nichts auflöste.
Ich folgte ihm.
Kapitel 15 – Lilith
I ch schlug die Augen auf. Das erste Gesicht, das ich sah, war das einer alten Frau. Aber diesmal musste sie mir nicht meinen Namen nennen. Ich wusste genau, wer ich war.
„Gerti?“, flüsterte ich leise.
„Guten Morgen, mein kleiner Findling!“, antwortete sie mit tränenerstickter Stimme. „Ich habe dich so sehr vermisst! Mach das nie wieder, hörst du?“
Ich versuchte, ihre Hand zu ergreifen, aber mein Arm wollte mir noch nicht gehorchen.
Gerti beugte sich vor und streichelte über meine Wange.
„Du bist die beste Oma der Welt“, raunte ich.
Gerti schluchzte laut auf, während sie gleichzeitig versuchte, zu lachen.
„Wow, wow! Was für eine Rührseligkeit!“ Frau Dr. Naumann drängte sich neben Gerti und blickte mich prüfend an. Aber auch ihr Ausdruck wirkte mehr als erleichtert.
„Na, junge Frau! Wie geht’s uns denn heute?“
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als mein Blick auf das Krankenbett neben mir fiel. Es war leer.
Eine tödlich lähmende Angst schnitt sich in mein Herz und augenblicklich begannen die medizinischen Geräte, an die ich angeschlossen war, schrille Warnsignale von sich zu geben.
Die Ärztin betrachtete mich weiterhin ungerührt.
„Wo ist Johannes?“, brachte ich heraus.
„Du meinst diesen gutaussehenden schwarzhaarigen Teufel?“
Ich nickte.
„Ihr kamt fast zeitgleich hier an – wenn man es denn so umschreiben möchte. Aber du warst so geschwächt, dass ich dich einige Tage ruhiggestellt habe, damit du wieder einigermaßen zu Kräften kommen konntest.“
„Und Johannes?“, wiederholte ich mit stark klopfendem Herzen.
„Nun, der ist von uns gegangen.“ Frau Dr. Naumann grinste.
Gerti versetzte ihr einen leichten Stoß.
„Ist doch wahr!“, protestierte die Ärztin. „Der junge Herr Hohenberg hat vorgestern einen der Mönche bestochen, ihm einen Rollator zu besorgen. Gegen
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