Im Abgrund der Ewigkeit
richtete sich auf. „Nein, nein! Das wäre nicht richtig. Du musst zu Kräften kommen. Also sei ein braves Mädchen und iss selbst.“
„Bist du soweit?“, fragte eine Stimme. Ein junger Mann – ebenfalls in Joggingkluft - stand in der Tür. Es dauerte, bis ich Markus erkannte. Ohne seine Kutte sah er halbwegs normal aus.
„Wir gehen Joggen“, erklärte Johannes unnötigerweise.
„In Ordnung“, erwiderte ich. „Aber ich weiß nicht, ob ich noch da bin, wenn ihr wiederkommt.“
Johannes feixte. „Keine Chance! Ich werde dich überall finden. Wo du dich auch versteckst!“
Ich verdrehte leicht die Augen. „Ich weiß! Und jetzt verschwindet!“
Johannes hätte beinahe Tante Bärbel umgerannt, die gerade vom Rauchen zurückkam. „Was?“, sagte sie empört. „Hast du noch immer nichts gegessen?“
Schuldbewusst verzog ich meinen Mund.
„Bist du wohl noch zu schwach?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sei mir bitte nicht böse. Aber ich kriege die Suppe einfach nicht herunter.“
„Keine Widerrede!“ Tante Bärbel setzte sich neben mich auf das Bett. Sie nahm mir den Löffel aus der Hand, tauchte ihn in die Brühe und bewegte ihn auf mich zu.
„So, und jetzt Mund auf!“, befahl sie.
Ich presste Augen und Lippen fest zusammen und schüttelte den Kopf.
„Jetzt spiel nicht das kleine Mädchen! Dafür bist du eindeutig zu alt. Die Suppe ist gut. Franz und Johannes haben literweise davon gegessen. Und mir schmeckt sie auch. …Jetzt schau mal her!“ Tante Bärbel zog ihren Arm zurück, führte den Löffel mit einer übertriebenen Geste an ihren eigenen Mund und schluckte mit verzückter Miene.
„Lecker“, sagte sie genießerisch.
Ihr Gesicht veränderte sich. Kerzengerade schoss sie empor. Mit einer Hand griff sie sich an den Hals, mit der anderen versuchte sie, sich an meiner Bettkante festzuhalten. Doch sie rutschte ab und fiel schwer zu Boden.
Von panischer Angst getrieben richtete ich mich auf und blickte nach unten. Tante Bärbel lag auf den Fliesen. Sie zuckte. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Weißer Schaum trat vor ihre Lippen. Dunkle Fäden mischten sich darunter. Blut lief aus ihrem Mund und aus ihren Augen.
„Bärbel“, kreischte ich.
Ihre Bewegungen hörten so unvermittelt auf, wie sie begonnen hatten. Starr und steif lag sie da - ihre Augen, die mich vor wenigen Sekunden noch liebevoll angesehen hatten, gebrochen und trüb.
„Hilfe“, schrie ich. „Helft mir doch!“
Der Raum begann, sich um mich zu drehen. Übelkeit stieg in mir hoch.
Mein Blick fiel auf Marga, die jetzt beim Abt stand und sorgfältig beobachtete, was in meinem Zimmer passierte. Ihre Augen waren groß, voller Angst… - Nein, es war keine Angst, die aus ihrem Gesicht sprach. Blanker ungezügelter Hass brannte mir entgegen.
Sie öffnete ihren Mund, stieß einen markerschütternden Schrei aus und rannte quer über den Flur zu mir herüber. Ohne abzubremsen, sprang sie auf mein Bett und stieß meine kraftlosen Arme beiseite. Sie legte ihre Hände um meinen Hals und begann, mich zu würgen.
„Du verfluchtes Stück Dreck!“, hörte ich sie schreien, während die Schmerzen an meinem Hals ins Unerträgliche wuchsen. „Schon wieder versuchst du, deiner Bestimmung zu entgehen. Aber ich werde Samael bestimmt nicht enttäuschen!“
Der Druck an meiner Kehle wurde stärker. Meine Beine trommelten auf die Matratze. Vergeblich bemühte ich mich, dem eisernen Griff zu entkommen. Mein Herz hämmerte wie wahnsinnig, der Drang zu atmen steigerte sich ins Unermessliche…
Ich hörte auf zu kämpfen.
Eine tödliche Ruhe überkam mich.
Von Ferne hörte ich ein dumpfes Geräusch. Ein fester gnadenloser Schlag.
Der Druck um meinen Hals ließ nach. Röchelnd sog ich Luft ein. Marga saß noch über mir, das Gesicht vom Wahnsinn verzerrt, entschlossen, mich zu töten.
Und ich sah Gerti hinter ihr stehen. Sie hob einen großen Gegenstand und schlug den Feuerlöscher erneut mit voller Kraft auf Margas Hinterkopf. Die Psychologin öffnete ihren Mund, doch ihre Gesichtszüge erschlafften im gleichen Augenblick. Langsam glitt sie zur Seite und fiel neben Bärbel zu Boden. Ihr Kopf krachte schwer auf die Fliesen.
Frau Dr. Naumann stürzte herein und betrachtete entsetzt die Szenerie: Die zwei leblosen Frauen neben meinem Bett, Gerti mit dem Feuerlöscher in der Hand und ich halb aufgerichtet, immer noch schwer nach Luft ringend. Sie kniete sich neben Bärbel nieder, drückte ihr zwei Finger an den Hals und fühlte
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