Im Abgrund der Ewigkeit
von Räucherkerzen. Künstlicher Nebel in den Ecken. Okkulte Zeichen auf ausgerollten Transparenten.
Die perfekte Kulisse für ein B-Movie – dachte Freya.
Die Statisten hatten bereits am Boden Platz genommen. Ein Mann in einer schwarzen Robe wartete auf seinen Einsatz. Er hatte sich die Augen mit dunklem Kajal dick umrandet, sogar seine Fingernägel waren schwarz lackiert. Freya musste bei seinem Anblick an sich halten, um nicht laut herauszulachen. Sie beherrschte sich, setzte einen ernsten, fast feierlichen Gesichtsausdruck auf und blickte fragend zu Morris.
Der wies auf eine freie Stelle zwischen ihren Fans.
Ohne zu zögern ging Freya zu ihrer Position und kniete sich nieder. Die Musik erstarb. Sie streckte ihre Arme seitlich von sich, wobei sie ihre Handflächen nach vorne drehte. Ihre Tattoos wurden sichtbar. Während sie ihre Augen schloss, hörte sie in der Stille laut und deutlich das Klicken der Fotoapparate.
Dreißig Minuten – schoss es ihr durch den Kopf.
Bilder ihrer Heimat tauchten vor ihr auf. Sie hatte es gelernt, blitzschnell umzuschalten, und die grünen Weiden Islands empfingen sie. Sie war wieder Freya Ívarsdóttir und sah ihren Vater, wie er neben ihr über die Ebene ritt. Er lachte ihr zu.
Die Stimme des Priesters setzte ein. Normalerweise sprachen diese Scharlatane pseudo-lateinisch oder irgendwelche Wörter rückwärts. Diesmal hörte es sich anders an. Die Silben waren melodisch und rhythmisch aufgebaut. Als Absolventin einer Musikhochschule mit klassischer Gesangsausbildung erkannte Freya sofort, dass es sich um ein Gedicht handelte. Eine wunderschöne Ballade in einer ihr vollkommen unbekannten Sprache.
Die fremde Melodie der Laute zog sie mehr und mehr in ihren Bann. Überrascht bemerkte sie, dass ihr Körper unbewusst im Takt der Sätze mitschwang. Sie genoss diesen Zustand, leicht und unbeschwert, wie in Trance.
Sie kehrte nach Island zurück. Die Sonne versank am Horizont, während sie sich mit ihrem Vater auf den Heimweg machte…
Der Schmerz erreichte sie unvorbereitet.
Eine kalte brennende Lanze bohrte sich in ihr Herz, raubte ihr den Atem. Sie versuchte, sich zu wehren, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht.
Und dann spürte sie es genau: Etwas Böses drang in sie ein. Dunkelheit erfüllte sie.
Das Licht auf der Ebene Islands erlosch. Nacht umhüllte sie, und als sie sich umsah, war ihr Vater verschwunden. Sie stieg von ihrem kleinen Pony und ging ein paar Schritte weiter. Vor ihr, am Rande eines Geysirs stand eine große schlanke Frau. Sie konnte nur deren schmale Statur ausmachen.
Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, trat Freya nah an die Fremde heran und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Die Unbekannte drehte sich um. Tiefe Narben verunstalteten ihr Gesicht. Blut drang aus den kaum verheilten Wunden. Ihr eines Auge war geschlossen, das andere brannte wie Feuer.
„Hallo“, sagte die Fremde. „Ich bin Samael. Du kennst mich noch nicht. Aber in ein, zwei Jahren wirst du ganz mir gehören.“
Epilog 2 - Noirmoutier
1
W ir brachten das Angelzeug hinauf zum Haus. Die Luft war noch mild, auch wenn sie schon eine Spur von Kälte in sich trug. Die Bäume in unserem Garten hatten bereits ihr gesamtes Laub abgeworfen. Das Meer rauschte heute lauter als sonst. Auf den meterhohen Wellen prangten kräftige Schaumkronen. Der Winter schickte seine Vorboten.
Wir legten die Ausrüstung achtlos auf den Terrassentisch. Im Kamin des großen Wohnbereichs wartete frisch aufgeschichtetes Holz darauf, angezündet zu werden.
„Was wollen wir heute Abend kochen?“, fragte Johannes.
„Wir?“, wiederholte ich und zog meine Augenbrauen hoch.
Johannes ging auf meine Stichelei nicht ein. „Stundenlanges Herumsitzen auf einem windigen Holzsteg macht hungrig“, sagte er.
Ich strich ihm sanft über die Wange. Sein Dreitagebart kratzte an meinen Fingern. „Mein Liebling, das habe ich vorausgesehen. Deswegen habe ich heute früh schon einen Tisch im Hafenrestaurant bestellt.“
„…Was nicht erforderlich gewesen wäre, wenn nicht eine gewisse Person – und ich will hier keine Namen nennen – sämtliche Fische, die wir mühsam gefangen haben, klammheimlich wieder ins Meer zurückgeworfen hätte.“
„Was erwartest du von mir?“, verteidigte ich mich. „Die armen Dinger haben so tapfer um ihr Leben gekämpft, ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, sie sterben zu lassen.“
„Und das hast du schon vorher gewusst, noch bevor wir überhaupt
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