Im Abgrund der Ewigkeit
Clement.“
In diesem Moment begann auch das linke äußere Bild zu flackern. Die Konturen lösten sich auf, die Farben verschwanden ins Nichts. Aber bevor auch die Darstellung der Vergangenheit aufhörte zu existieren, hatte Asmodeo im rechten Bild der Zukunft für den Bruchteil einer Sekunde noch einen Blick auf das erhaschen können, was Lilith bevorstand.
Er hatte gesehen, wie sie am Boden lag. Blut sickerte aus einer Wunde an ihrem Oberarm. Und Clement beugte sich über sie, sein Ausdruck von mörderischer Wollust verzerrt. In seiner Hand blitzte die schnabelförmige Klinge eines Messers auf.
Kapitel 5
– Lilith und Johannes
1
D er Puls hämmerte in meinem Kopf. Ich war noch halb taub vom Bellen der Schüsse. Der Fremde, der gerade durch die Tür getreten war, sagte zu Johannes: „Aber, aber, Johannes. Begrüßt man so ein Mitglied der Familie?“
Johannes ließ seine Waffe sinken. Seine Augen weiteten sich in grenzenlosem Erstaunen. „Familie?“
Der Mann lächelte milde. „Sicher, Johannes. Ich bin dein Bruder. Dein Bruder Clement.“
Der Fremde, der sich soeben als Clement vorgestellt hatte, trat zu mir heran und streckte mir seine Hand entgegen. Die Finger waren lang, sehnig und überaus kraftvoll. Sie sahen aus, wie die von Johannes. Und doch, als ich sie näher betrachtete, kam es mir so vor, als würde etwas an ihnen fehlen. Etwas, was die Hände von Johannes auszeichnete.
Ich blickte empor und begegnete Clements hellgrünen Augen. Und mit einem Mal wusste ich, was ich bei diesem Mann vermisste: Jede Art von Menschlichkeit.
Das Lächeln auf Clements Gesicht wurde breiter. „Lilith, du bist so schön wie immer.“ Seine Stimme klang hart, ohne eine Spur von Weichheit. Er ergriff meine Hand und zog mich behutsam, aber bestimmt, auf die Beine.
„Wir kennen uns?“, fragte ich, um meine Unsicherheit zu kaschieren. Ich stand jetzt nahe bei Clement, sodass ich die Kälte beinahe körperlich spüren konnte, die von ihm ausging.
„Aus einem anderen Leben“, sagte er. „Und ich bin froh, dass ich euch gefunden habe.“
Johannes legte mit einem metallischen Klacken den Sicherungshebel seiner Maschinenpistole zurück. Clements Blick wanderte blitzschnell zu ihm und blieb auf ihn gerichtet, bis Johannes die Waffe im Geigenkasten verstaut und den Deckel mit einem dumpfen endgültigen Geräusch geschlossen hatte.
„Wie es scheint“, nahm Clement das Gespräch wieder auf, „bin ich gerade zur richtigen Zeit gekommen.“
Von der Rückseite des Tresens kam ein trockenes Räuspern. Wir drehten uns alle in diese Richtung. Manuel, der Kantinabesitzer, stand dort und hielt seinen Jungen fest an seine Seite gepresst. Sowohl dem Vater als auch dem Sohn stand die Erschütterung über das soeben Erlebte noch deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Danke“, stammelte er, „Sie drei …Sie haben uns das Leben gerettet.“
„De nada“, winkte Clement ab. „Es war mir ein Vergnügen.“ Er ging hinüber zur Theke und spähte an Manuel vorbei in die Küche. „Das riecht ja herrlich. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas Warmes gegessen habe.“
„Mir ist der Appetit vergangen“, bemerkte ich und wies mit meinem Kopf in Richtung der Männer, die im Raum verstreut lagen.
„Essen ist zu wichtig, als dass man es überspringen könnte“, entgegnete Clement. „Und Lilith, das Eine sage ich dir: du wirst deine Kraft noch brauchen, glaube mir.“
Bevor ich etwas antworten konnte, mischte sich Johannes ein. „Ich denke, wir werden erst einmal etwas…“, er stockte, um nach den richtigen Worten zu suchen, „…für Ordnung sorgen und dann wird dein Hunger schon zurückkehren.“
Manuel kam um die Theke herum. „Natürlich helfe ich, meine Herren.“
Der Junge wollte seinem Vater folgen, aber der herrschte ihn an: „Du bleibst hier, Carlitos. Du kümmerst dich um die bezaubernde Señorita . Es wird nicht lange dauern.“
Umgehend gehorchte der Junge. Er holte eine mit Bast umwickelte Flasche aus der Küche, entkorkte sie und goss mir frischen Wein in ein glänzend poliertes Glas ein. Hinter mir hörte ich schleifende Geräusche, als die Körper der Banditen aus dem Gastraum gezogen wurden.
Undeutlich vernahm ich Johannes‘ Stimme, wie er etwas zu Clement sagte. Der antwortete leise, doch ich konnte den Inhalt der Unterhaltung nicht verstehen. Ich trank erneut von meinem Wein. Der Schmerz an meinen Hals ließ langsam nach, nur die Haut in meinem
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