Im Abgrund der Ewigkeit
die nur wenige Schritte von ihnen entfernt auf zwei Krankenbetten lagen, wie zwei Leichen, die auf ihre Bestattung warteten. Er trank erneut aus seinem Glas, doch der Whisky schien seinen Geschmack verloren zu haben, denn alles, was er spürte, war lediglich ein Brennen im Mund.
„Ich weiß ja nicht, wie es euch geht“, hörte er Gerti sagen, „aber ich bin hundemüde.“ Sie erhob sich.
Der Abt machte Anstalten, ihr zu folgen.
„Nein, bleib sitzen, hochwürdiger Herr“, beeilte sich Gerti zu sagen. „Wir finden allein in unsere Zimmer.“
„Sicher?“, fragte der Abt.
„Wir sind schon groß. Und das bereits eine ganze Weile“, erwiderte Karin, die gemeinsam mit Bärbel ebenfalls aufgestanden war.
„Morgen erwartet uns ein harter Tag“, stimmte Bärbel zu und die drei verließen die Runde. Bald hatte die Dunkelheit sie ebenso verschluckt, wie zuvor die Fledermäuse.
Für eine Zeitlang hörte man nur das monotone Zirpen von Grillen und das Nagen des Hundes, wenn seine Zähne über den harten Knochen schabten. Frau Dr. Naumann zündete sich eine neue Zigarette an. Asmodeo wippte weiterhin gleichmäßig mit seinem Stuhl auf und ab.
Unvermittelt unterbrach Mozart seine Beschäftigung und richtete sich ruckartig auf. Er verharrte einige Momente in einer Habacht-Stellung, dann legte er seinen Kopf nach hinten und ein klagender Laut entfuhr seiner Kehle. Asmodeo betrachtete ihn irritiert. Das Jaulen des Hundes wiederholte sich, diesmal stärker.
Asmodeo sprang auf. Laut polternd fiel sein Stuhl um. Mit einigen großen Sätzen hatte er den Klosterhof durchquert, stürzte in die provisorische Klinik, riss die Tür auf und stand vor den Betten von Johannes und Lilith.
Nichts.
Die Maschinen piepsten rhythmisch, die Computergrafiken zeigten keinerlei Anomalien.
„Es ist alles in Ordnung.“ Die Stimme von Frau Dr. Naumann, die Asmodeo gefolgt war, hatte einen beruhigenden Klang.
„Das können Sie mit einem Blick erfassen?“
„Selbstverständlich. Als allererstes würde das EKG verrücktspielen. Aber das ist nicht der Fall.“
„Mozart hat etwas gespürt. Für sein Verhalten muss es einen Grund geben.“
„Aber das hat nicht zwangsläufig mit Lilith zu tun. Vielleicht gehen ihm die Fledermäuse auf die Nerven. Er ist doch ein Jagdhund, oder?“
Bevor Asmodeo etwas erwidern konnte, änderte sich die Geräuschkulisse in dem Raum. Die Töne wurden schriller, abgehackt folgten sie stakkato-artig aufeinander.
„Was zur Hölle“, entfuhr es der Ärztin. Sie eilte zu ihren zwei Patienten, hielt zuerst Johannes und dann Lilith die Hand an die Halsschlagader, um deren Puls zu fühlen.
„Was ist los?“ Asmodeo sprach ruhig und langsam. Sein Gesicht war ausdruckslos.
„Da stimmt etwas nicht“, erwiderte die Ärztin und sie klang alarmiert. „Der Puls steigt, die Atemfrequenz hat sich erhöht, doch ich kann dafür keine Ursache erkennen. Die einzige Erklärung, die sich mir aufdrängt, ist vollkommen unlogisch.“
„An welche Erklärung haben Sie gedacht?“ Asmodeo war näher gekommen. Sein Blick war auf Lilith geheftet.
„Ein extremer Ausstoß von Adrenalin“, sagte die Ärztin, um gleich darauf den Kopf zu schütteln. „Aber das ist unmöglich.“
„Wieso?“ Asmodeo hatte sich Frau Dr. Naumann zugewandt und seine blauen Augen waren dunkel geworden, sie wirkten fast schwarz.
Unbewusst wich die Ärztin einen Schritt vor ihm zurück und griff sich wie schützend an die Kehle. „Zu einem derartig massiven Adrenalinausstoß kommt es nur, wenn die Person in eine überaus große Gefahr gerät. Vielleicht auch in den letzten Sekunden vor dem Ersticken. Jedoch nicht, wenn der Patient ohne Bewusstsein im Koma liegt. Ich kann mir das nicht erklären.“
Asmodeo hatte ihre letzten Worte nicht mehr gehört. Er hatte bereits die Intensivstation verlassen. Er hastete die wenigen Schritte zur Kirche, ohne auf die Rufe des Abtes zu reagieren, an dem er vorbeigerannt war und der sich jetzt seinerseits bemühte, Asmodeo nachzukommen.
Asmodeo riss die schwere Tür auf. Einige wenige Kerzen brannten vor den Statuen der Heiligen. Der unerwartete Luftstoß ließ die Flammen zittern. Die riesigen Schatten, die sie erzeugten, tanzten wie lebendige Schemen über die uralten Wände.
Asmodeo gelangte zu der geheimen Pforte neben dem Altar und öffnete sie. Die Dunkelheit, die ihn empfing, war so schwarz und bodenlos, wie ein offenes Grab. Er hielt sich mit einer Hand an der Wand fest und begann, zuerst
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