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Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)

Titel: Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph W. Bauer
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ursprünglich der Armenpflege diente, machte sich das neuzeitliche Rechtsempfinden daran, ein Exempel zu statuieren, und schob dem Schmarotzertum einen Riegel vor. Bridewell, so der Name des ehemaligen nun zum Zuchthaus umfunktionierten Schlosses in London, wurde vorbildhaft und Synonym für zahlreiche weitere Anstalten dieser Art, die man auch house of occupation, hospital oder workhouse nannte. Gerade letztere Bezeichnung gewährt Einblick auf den Charakter dieser Häuser, bei deren Errichtung die Neudefinition des Begriffs Arbeit durch die Reformatoren eine wesentliche Rolle spielte.
    Neu an diesen Anstalten ist, dass die Insassen sowohl während als auch außerhalb der ihnen auferlegten Arbeiten einer Aufsicht unterworfen sind und die Arbeiten weniger einem strafenden als einem erzieherischen Zweck dienen sollen. Während das Mittelalter die Freiheitsstrafe eher im Sinn der Untersuchungshaft kennt, ändert sich das im 16. Jahrhundert grundlegend. Die öffentlichen Zwangsarbeitsstrafen, die opera publica, nehmen zu. Des liederlichen Lebenswandels, Diebstahls und auch Bettelns Überführte werden zum Stadtgrabenräumen, zur Kotentsorgung oder zu ähnlichen Arbeiten abkommandiert. Was bringt schon ein an den Pranger Gestellter?
    Vier Jahrzehnte nach der Eröffnung von Bridewell wird in Amsterdam das erste Zuchthaus auf dem Kontinent errichtet, schließlich erfasst die Zuchthausgründungswelle auch das Heilige Römische Reich, Bremen, Lübeck, Hamburg, Wien, Leipzig, Frankfurt am Main – das Amsterdamer Vorbild findet reichlich Nachahmer.
    Und was hat das alles mit Maximilians Schwiegertochter zu tun?
    Mit Johanna der Wahnsinnigen wenig, sehr viel aber mit ihrem Sohn, Maximilians Enkel und Nachfolger auf dem Kaiserthron – Karl V. Zwar dankt der im Jahr 1555 als Herrscher ab, unter ihm wird jedoch 15 Jahre zuvor auf dem Augsburger Reichstag die Peinliche Halsgerichtsordnung erlassen, die Constitutio Criminalis Carolina , das klingt freilich besser. Diese Strafrechts- und Prozessordnung mit dem Ziel, das Recht im gesamten Reich zu vereinheitlichen, baut auf dem Klagspiegel des schluderpacherschen Kollegen Conrad Heyden auf, auch die Methode der Peinlichen Befragung findet in ihr die Legitimation.
    Was sich unter Maximilians Regentschaft ankündigt und sich unter seines Enkels Herrschaft manifestiert, vollzieht sich mit Bridewell: die Stigmatisierung all jener, die nicht gesellschaftskonform leben. Oder, um mit Foucault zu sprechen, die Geschichte Europas ist seit der frühmodernen Zeit im Wesen die Geschichte der großen Ausgrenzung.
    Foucault hin, Foucault her, man glaubte, die Abtrünnigen auf den rechten Weg bringen zu können, nicht?
    Labore Nutrior, Labore Plector stand überm Tor des Hamburger Zuchthauses, ernährt durch Arbeit, durch Arbeit gezüchtigt. Das lässt sich als Motivation für die Gründung der meisten Anstalten nennen. Bedürftige und Verbrecher werden gleichgestellt, in dem Spruch überm Hamburger Zuchthaustor ist die Grenze zwischen Armut und Straftat auf einen Beistrich reduziert.
    Das klingt mir zu abgehoben, zuerst das protestantische Arbeitsethos, dann Foucault und jetzt auch noch die Beistrichregelung. Die wahren Beweggründe –
    Zur Arbeit verdonnerte Sträflinge steigern den Umsatz, Hinrichtungen kosten nur. Zwar gelten die Henker nicht gerade als ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, werden von der Bevölkerung gemieden und hausen meist in Verschlägen am Stadtrand, aber ohne Lohn führen sie keinen Handstreich aus. Schließlich sind sie ausgebildete Fachkräfte, durchlaufen eine Lehre, Gesellenjahre, legen eine –
    Jetzt hör aber auf!
    Es ist noch kein Henker vom Himmel gefallen. Und es braucht verdammt viel Fingerspitzengefühl, dass einem bei der Peinlichen Befragung der Delinquent nicht unter den Händen wegstirbt. Liest du die Constitutio Criminalis , bekommst du einen Eindruck davon, wie flexibel man als Scharfrichter sein muss. In diesem ersten allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch sind diverse Folter- und Hinrichtungsmethoden penibel aufgelistet, vom Ohren- und Zungenabschneiden ist da genauso die Rede wie vom Köpfen, Pfählen und Ertränken. Den Freiheitsentzug schlägt das Werk hingegen lediglich in zwei Paragraphen vor. Und überhaupt: So einfach ist das nicht, den Kopf mit einem Handstreich zwischen zwei Halswirbeln hindurch vom Rumpf abzutrennen. Und das verlangt nicht nur das Publikum, sondern auch die Liebe zum eigenen Leben, Präzisionsarbeit ist vonnöten, will

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