Im Alphabet der Häuser: Roman einer Stadt (German Edition)
Melange, lehnst dich lässig zurück. In deinem Rücken ein Tisch mit Studenten in lautstarker Vorfreude auf die am Samstag stattfindende Monatsversammlung der Germania im Goldenen Löwen.
Der Kellner serviert dir deinen Kaffee, du gibst dich nonchalant und nützt die Gelegenheit, dich bei ihm über die Lage der Innstraße schlau zu machen. Als er den Namen der Straße hört, verzieht er kurz das Gesicht, die Innstraße, sagt er, hieß zwar bis vor kurzem noch Kaiserstraße, aber man dürfe sich da nicht täuschen lassen, allerlei billiges Volk habe sich seit jeher in dieser Gegend ansässig gemacht. Der physische Schmutz in diesem Stadtteil fördere auch den moralischen Ruin der Bewohner – Du unterbindest seine Redseligkeit mit einer Geste.
Die angehenden Akademiker hinter dir unterhalten sich inzwischen eifrig über die Berner Übereinkunft, bei der es sich, wie du dem Gespräch entnehmen kannst, um ein Abkommen zur Anerkennung des Urheberrechts handelt. Vor dem Dezember 1887 war es möglich, hörst du sagen, dass ein unter italienischem Urheberschutz in Rom publiziertes Werk in Paris, Berlin und Wien frei verbreitet werden konnte. Mehreren Revisionen unterzogen, ist diese Einigung heute noch das maßgebliche internationale Mittel zum Schutz der Urheber.
Dann fallen im Gespräch einige Namen, und du wirfst einem der Studiosi einen hasserfüllten Blick zu, als er den Namen Ida Pfeiffer verächtlich ausspricht. Du liebst die Schriften der vor gut dreißig Jahren verstorbenen Autorin und Weltenbummlerin, die trotz ihres kosmopolitischen Horizonts immer die Fahne der bürgerlichen Werte hochhielt, was ihr dieser Student jetzt wortreich zum Vorwurf macht.
Ida Pfeiffer, willst du ihn anbrüllen, hat zwei Weltreisen unternommen, sie war bei den Wilden im tiefsten Urwald, hat deren Aussehen und Rituale trefflich beschrieben. Nicht umsonst hat sie bei der Gelehrtenwelt großen Eindruck hinterlassen, gar ein Alexander von Humboldt attestierte ihr, Unglaubliches durchgeführt zu haben. Vom preußischen König wurde sie mit der Goldenen Medaille für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet, die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin verlieh ihr als erster Frau die Ehrenmitgliedschaft, ebenso die Société de Géographie de Paris und die Kaiserlich-Königliche Geographische Gesellschaft zu Wien. Und dann kommt so ein Student daher und glaubt, ihr ans Bein pinkeln zu können, eine Frechheit ist das, du schäumst vor Wut.
Und dein Zorn steigert sich noch, als der gewichste Kerl plötzlich den Freien Landboten in Händen hält, vom Liebeslied der Ballerine und Arthur Schnitzler zu schwärmen anfängt, auch den kennst du, hast ihn neulich gesehen, diesen Sekundararzt am Wiener AKH , der in seiner Freizeit schöngeistige Klecksereien von sich gibt – na, was soll man anderes erwarten von einem Juden. Als alle bis auf einen am Nebentisch deiner Meinung zu sein scheinen und den Schnitzlerverehrer ob seiner völkischen Irrungen anständig rüffeln, bist du wieder etwas versöhnt mit der Stadt, kurz warst du nahe daran, ihr den Rücken zu kehren.
Wie kannst du mir eine rechte Gesinnung unterstellen!
Wir sind im Jahr 1888. Noch hast du die Möglichkeit und fünf Jahrzehnte Zeit, aus dem gängigen Grundkonsens auszuscheren, sechs Jahrzehnte, um zu behaupten, das alles war nie so gemeint.
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Doch wechseln wir Kaffeehaus und Thema, Studentengeschwätz war es noch nie wert, sich den Tag verderben zu lassen! Du bezahlst im Grabhofer und trittst wieder auf die Erlerstraße hinaus. Richtung Museumstraße dann auf der Suche nach einem neuen Café, denn längst hast du beschlossen, den ersten Tag in Innsbruck ganz deiner Gewohnheit entsprechend ausschließlich über Kaffeetassen zuzubringen. Du hältst an der Ecke Museumstraße – Angerzellgasse, im Volksmund auch das scharfe Eck genannt, weil dort eine stadtbekannte Obstverkäuferin ihren Stand hat und mit ihrer Zungenfertigkeit so manchen Passanten das Fürchten lehrt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblickst du die Wagner’sche Universitätsbuchhandlung, schon in ein paar Tagen wirst du weitere Buchläden in der Stadt entdecken: die Central-Buchhandlung in der Bahnstraße 20, den Laden des Buchbinders Ignaz Knitel und die Buchhandlung des Felizian Rauch am Innrain 6. Du gehst langsam auf die Auslage der Wagner’schen zu, plötzlich kommt dir der Student aus dem Grabhofer in den Sinn, du ballst die Hände in den Manteltaschen, es ist kalt, unter null Grad. Gingest du durch
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