Im Angesicht der Schuld
schien strapaziert zu sein. « Die Erinnerung an dieses Gespräch verursachte mir Beklemmungen. » Ich fragte ihn im Scherz Soll ich kommen und dich retten?, und er antwortete Nicht nötig. « Meine Stimme drohte zu versagen. » Wäre ich nur hingegangen. Dann wäre er vielleicht noch am Leben. «
» Solche Gedanken sind nicht hilfreich, Frau Gaspary, aber das wissen Sie selbst. Tun Sie sich und uns bitte den Gefallen und melden Sie sich, falls Ihnen irgendetwas zu Ohren kommt. «
» Das werde ich. «
A uf dem Weg zu Eliane Stern machte ich einen Umweg und besuchte Gregors Grab. Ich starrte auf das Holzkreuz, das bald dem alten Stein weichen würde, un d w ünschte mir zu verste i nern, um diesen Anblick ertragen zu können. Die Schmerzen waren so übermächtig, dass ich blind vor Tränen zum Auto rannte.
» Wir wollten zusammen steinalt werden «, erzählte ich Eliane Stern, als ich ihr eine halbe Stunde später gegenübersaß. » Gregor war der einzige Mensch, bei dem ich diesen Wunsch verspürt habe. « Ich schluckte gegen meine Verzweiflung an. » Er fehlt mir so sehr. « Sekundenlang war ich nicht fähig weiterzur e den. » Und dann sitzt mir diese Frau gegenüber und sagt mir ins Gesicht, dass manchmal Wünsche in Erfüllung gehen. «
» Welche Wünsche? «
Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit Beate Elverts.
» Sie gibt meinem Mann die Schuld an dem Unfall. «
» Wissen Sie etwas über die Strafe, die Ihr Mann erhalten hat? «
» Nur von Frau Elverts. Sie sagte, er habe ein paar Tagessätze an eine gemeinnützige Organisation zahlen müssen. Der Richter habe von einer schuldlosen Schuld gesprochen und das Verfa h ren eingestellt. Frau Elverts kann sich diesem Urteil nicht anschließen. «
» Wie soll sie das auch, Frau Gaspary? Ich glaube, da erwarten Sie viel zu früh viel zu viel von ihr. Sie wird sich selbst die schwersten Vorwürfe machen, weil sie ihr Kind einer Freundin anvertraut hat. Es kann sehr entlastend für sie sein, wenn sie Ihrem Mann die Schuld am Tod ihres Kindes gibt. Die Wut und Ohnmacht, die sie verspürt, kanalisiert sie in die Schuldzuwe i sung: Er hätte aufpassen müssen. Es ist zwar nicht gerecht, ihm die Schuld zu geben, aber manchmal hilft es einem, nicht gerecht zu sein. «
» Die beiden haben sich an dem Freitag vor Gregor s T od getroffen. Er wollte wissen, ob er ihr irgendwie helfen könne. Sie hat es so interpretiert, als wollte er, dass sie ihm verzeiht und ihn von seiner Schuld freispricht. «
» Mit dem Verzeihen ist es in einem solchen Fall sehr schwi e rig, da es in jedem Fall voraussetzt, dass sich alle Beteiligten darüber einig sind, dass eine Schuld vorliegt. Der Schuldige muss die Verantwortung übernehmen und sagen Tut mir Leid, ich bin schuld. Ein solches Schuldeingeständnis würde der Mutter ganz ohne Zweifel helfen. Wenn sich der Unfall so zugetragen hat, wie Sie ihn beschreiben, dann war das jedoch aus der Sicht Ihres Mannes sehr problematisch. Vermutlich wäre es klüger gewesen, die beiden wären sich gar nicht begegnet. «
» Er wollte ihr nur seine Hilfe anbieten. «
» Das ist aber nicht das, was sie bei ihm gesucht hat. Sie wird ganz sicher ein Schuldeingeständnis eingefordert haben, das Ihr Mann ihr aus verständlichen Gründen nicht geben konnte. «
» Ist es denkbar, dass sie ihn deshalb vom Balkon gestürzt hat? «
» Denkbar ist sehr vieles, Frau Gaspary. Aber würden alle Menschen, die voller Hass und Rachegedanken sind, ernsthaft und konsequent einen Mord als Lösung in Betracht ziehen, dann hätten wir unzählige Tote mehr. «
12
Joosts humangenetisches Institut verströmte kühlen Purismus. Seiner Meinung nach sollten es sich die Leute zu Hause gemü t lich machen, bei ihm regiere die Wissenschaft. Mit derselben Konsequenz hatte er ein durchsetzungsstarkes Organisationst a lent statt eines Blickfangs als Empfangsdame engagiert.
In knappen Worten hatte sie mich zu einem Stuhl dirigiert, auf dem ich warten sollte, bis der Professor sein Gespräch beendet habe. Nach einer Viertelstunde näherte sich dem Empfangstr e sen eine Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam. Sie war groß, blond und wirkte sehr sportlich. Bei näherem Hinsehen en t schied ich jedoch, dass ich mich geirrt haben musste.
Ich konnte die Worte nicht verstehen, die zwischen beiden Frauen gewechselt wurden, aber ihren Mienen und Gesten war zu entnehmen, dass es sich nicht um ein freundliches Gespräch handelte. Gerade wollte ich mich abwenden, als die blonde
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