Im Angesicht der Schuld
Schon gut «, beeilte ich mich zu sagen. » Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast. «
N achdem ich Jana bei Mariele Nowak abgeholt hatte, entsch ä digte ich sie für meine stundenlange Abwesenheit, indem ich ausgiebig mit ihr spielte. Erst fie l e s mir schwer, mich darauf einzulassen, aber irgendwann war ich beinahe so vertieft wie Jana und vergaß die Zeit.
Wir hatten fast zwei Stunden zusammen das Kinderzimmer auf den Kopf gestellt, als Isabelle anrief und mir zum wiederho l ten Male anbot, die Wochenenden bei mir zu verbringen. Ich war ihr dankbar für ihre Fürsorge, aber ich wusste intuitiv, dass ich lernen musste, mit der neuen Situation umzugehen. Isabelles Besuche würden wie eine Betäubung sein, aus der ich irgen d wann aufwachen musste.
Ich erzählte ihr von meinen Gesprächen der vergangenen Tage und fragte sie nach ihrer Meinung.
» Wenn jemand etwas verheimlicht oder lügt, finde ich es immer verdächtig. Aber du hast gleich drei davon. Annette verschweigt den Anruf bei Gregor, die Mutter von dem Baby erfindet ein falsches Alibi, und Franka Thelen gibt nicht zu, dass sie Gregor mittags noch getroffen hat. Daraus soll man dann schlau werden. « Sie seufzte. » Findest du es nicht merkwürdig, dass diese Franka Thelen gelogen hat? «
» Ich finde es in allen drei Fällen merkwürdig. «
» Bei den beiden anderen kann ich es irgendwie nachvollzi e hen, aber welchen Grund sollte sie gehabt haben? «
Ich dachte darüber nach. » Das weiß ich nicht. «
» Vielleicht lässt sich das herausfinden. Was hältst du davon, wenn ich zu dir komme und wir gemeinsam zu ihr gehen? «
» Sie wird mir nichts tun «, beruhigte ich sie.
» Jemand hat Gregor etwas getan. Und im Vergleich mit de i nem Mann bist du eine halbe Portion. «
Ich folgte meiner Intuition und verabredete mich am nächsten Tag alleine mit Franka Thelen. Als Ort für unser Treffen hatte ich das TH2 vorgeschlagen, das Café an der Klosterallee, Ecke Isestraße, in dem Gregor und sie am Tag seines Todes zusa m men zu Mittag gegessen hatten.
Damit wir auf jeden Fall einen Platz bekamen, ging ich bereits um zwölf Uhr dorthin und wartete eine halbe Stunde auf sie. Ich versuchte, jeden Gedanken an Gregor zurückzudrängen, damit ich nicht in Tränen ausbrach. Eine Zeitschrift, die neben mir auf der Bank lag, blätterte ich blicklos durch. Es schien in einem anderen Leben gewesen zu sein, dass mich so etwas interessiert hatte.
» Hallo, Frau Gaspary «, begrüßte Franka Thelen mich und setzte sich an den Tisch.
» Danke, dass Sie gekommen sind. «
Sie bestellte einen Kräutertee, ich eine heiße Schokolade.
» Ich habe mich am Sonntag mit Ihrer Freundin getroffen «, begann ich das Gespräch ohne Umschweife.
» Es wundert mich, dass sie einem solchen Treffen zugestimmt hat. «
» Sie hat es sogar selbst vorgeschlagen. «
Franka Thelen schaute überrascht.
» Gregors Tod lässt sie gänzlich unberührt. « Ich spürte, dass meine Lippen anfingen zu zittern.
» Es hätte schlimmer kommen können. «
Wie hatte Claudia gesagt? Vielleicht ist sie sogar froh darüber, dass Gregor tot ist. » Ja, das hätte es wohl. « Ich holte tief Luft. » Sie gibt Gregor die Schuld an dem Unfall. «
Ihre Miene verdüsterte sich. » Wenn jemand Schul d h at, dann bin ich das. Es war diese eine Sekunde, in der ich eine falsche Entscheidung getroffen habe. Ich hätte nicht versuchen sollen, dem Fahrradfahrer, der uns auf dem Bürgersteig entgegenkam, auszuweichen. Aber er war so unglaublich schnell, dass ich befürchtete, er könne nicht mehr rechtzeitig bremsen und würde in den Kinderwagen rasen. Also versuchte ich, ihm auszuwe i chen. « Sie sah durch mich hindurch. » Es war ein warmer Spätsommertag. Die Sonne schien, und ich hatte die Decke in den Korb unter dem Kinderwagen gelegt. Später habe ich mich oft gefragt, ob diese Decke Till hätte Halt geben können, ob sie seinen Fall abgebremst hätte, so dass er nicht so weit auf die Straße gerollt wäre. « Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Es kostete mich ungeheure Kraft, mir diese Geschichte anz u hören. Seit Gregors Tod war mir, als wäre mir mein natürlicher Schutzschild verloren gegangen, so dass sich das Leid der anderen zu meinem addierte. Ich konnte es nicht auf Distanz halten. Die Vorstellung von dem Baby, das von Gregors Wagen überrollt wurde, war unerträglich. Hätte ich in diesem Auge n blick meinen Mund geöffnet, hätte ich geschrien.
Ihre Stimme kam von weit
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