Im Angesicht der Schuld
her. » Nach diesem Tag hatte ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Die Schuld, die ich auf mich geladen hatte, war zu schwer, sie drückte mir den Brus t korb zusammen. Es heißt, man sei gegen Schicksalsschläge nicht gefeit. Ich konnte jedoch aus dieser Tatsache nie eine Entlastung ziehen. Ohne mein Zutun wäre Till noch am Leben. « In vorsichtigen Schlucken trank sie von ihrem Tee. » Für Gregor war es leichter. Ihm wurde von offizieller Stelle attestiert, dass ihn keine Schuld traf. «
» Nur eine schuldlose Schuld … «
» Eine, die die Existenz nicht in Frage stellt, da sie sich nicht vermeiden lässt. «
» Hat Gregor das als entlastend empfunden? «
» Anfangs nicht, da hat ihn jeder Gedanke an den Unfall g e martert. Aber mit der Zeit wurde es etwas besser. «
Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie ihre Tränen fort.
Es bedurfte keiner analytischen Fähigkeiten, um sich auszum a len, was in ihr vorging. Womöglich war sie überzeugt, für den Unfall büßen zu müssen und nie mehr fröhlich sein zu dürfen, so wie Till nie mehr die Augen aufschlagen durfte. Da ich fror, legte ich mir meinen Mantel um die Schultern. » Wie ist Ihre Verhandlung ausgegangen? «
» Bei mir haben sie das Adjektiv schuldlos weggelassen. Nach Auffassung des Gerichts hatte ich Schuld. Der Staatsanwalt hat mir vorgehalten, dass ich dem Fahrradfahrer nur zur anderen Seite hätte ausweichen müssen, dann wäre nichts geschehen. Ich hätte auch stehen bleiben und ihn durch Zurufen zum Anhalten bewegen können. Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. So hat sich der Richter der Überzeugung des Staatsanwalts angeschlo s sen. Allerdings wurde auch mein psychischer Schaden durch den Unfall berücksichtigt. Ich bin mit einer Geldstrafe davong e kommen. « Mit einem gedankenverlorenen Blick schüttelte sie den Kopf. » Ist dieses Wort nicht absurd? Die Erinnerungen haben mich fest im Griff und sind eine einzige Qual. Wie soll ich da davonkommen? Seit Tills Tod ist alles anders. « Sie faltete ihre Hände und sah darauf. » Ich habe ein Kind auf dem Gewi s sen. Und ich habe das Leben meiner Freundin zerstört «, zählte sie mit rauer Stimme auf und verfiel für einen Moment in Schweigen. » Mit dieser Bilanz lässt es sich nicht mehr froh werden. «
Ich hätte ihr gerne etwas Tröstliches gesagt, aber ich fand nicht die richtigen Worte. Wir schauten uns an und schwiegen. Nach einer Weile kam ich auf das zu sprechen, was mich hergeführt hatte: » Frau Thelen, halten Sie es für möglich, dass Ihre Freundin sich an meinem Mann gerächt hat? «
Es dauerte Sekunden, bis sie die Tragweite meiner Frage begriff. Widerstreitende Regungen spiegelten sich in ihrem Gesicht. Einerseits war da Empörung, dass ich Beate Elverts so etwas überhaupt zutraute, andererseits Entschlossenheit, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. » Ausgeschlossen! Nicht Bea. «
Sie sah mich fest an. » Um jemandem einen Stoß zu versetzen, damit er über einen Balkon in die Tiefe stürzt, bedarf es einer enormen kriminellen Energie. Und die hat Bea nicht. «
» Aber sie hat sehr großen Kummer. Sie ist verzweifelt über den Tod ihres Sohnes, und sie hat meinen Mann gehasst. Auch aus diesen Gefühlen entwickeln sich Energien, die nicht zu unterschätzen sind. «
» Dann wäre ich wohl die Erste, an der sie sich hätte rächen müssen. Aber ich lebe noch. «
» Haben Sie ihr gegenüber Ihre Schuld eingestanden? «
» Das war das Mindeste. «
» Gregor hat das nicht getan. «
» Ihn traf auch keine Schuld. «
» Das sieht Ihre Freundin anders. «
» Frau Gaspary, ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dass Bea Ihren Mann nicht umgebracht hat. «
» Wie viel ist Ihr Wort wert, Frau Thelen? «
Irritiert zuckte sie zurück. » Ich verstehe nicht, was Sie me i nen. «
» Als ich bei Ihnen zu Hause war, habe ich Ihnen erzählt, dass eine Mitarbeiterin meines Mannes überzeugt war, er sei am Mittag seines Todestages mit Ihnen zum Essen verabredet gewesen. Sie sagten mir daraufhin, dass sie sich irren müsse. Sie hätten ihn zum letzten Mal eine Woche vor seinem Tod getro f fen. «
» Ja … und? «
» Die Mitarbeiterin meines Mannes hat sich nicht geirrt. Sie hat Sie und Gregor mittags hier im TH2 sitzen sehen. «
Franka Thelen wandte sich um und rief nach der Bedienung. Dann nahm sie ihre Jacke von der Stuhllehne, zog sie an und zählte das Geld ab. » Tut mir Leid, Frau Gaspary, aber ich muss zurück in die Agentur. Ich glaube, es ist besser,
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