Im Anhang mein Herz
Alkohol, außer manchmal etwas Sekt mit viel Orangensaft, versteht sich, verträgt wenig davon, und raucht nicht.
Deswegen sieht sie auch jünger aus, als sie ist. Sie macht zwar wenig Bewegung, hat aber immer ihr ideales Körpergewicht. Marlene bezeichnet sich selbst als vernünftig, aufrichtig, nicht aufgedonnert, ein wenig pedantisch, sportlich etwas eingerostet und eher konservativ.
Montag, 16. November, 5.57
Betreff: Programm
Liebe Marlene! Zum Programm, es wäre besser, du würdest es erst mit dem neuen System verwenden. Das könntest du von mir bekommen, außerdem gibt es die offizielle Version ohnehin sehr bald.
Heute sah ich die neue Schnellbahngarnitur zum ersten Mal!
Gehst du zu dem Vortrag am Mittwoch?
Ja, bitte die Konzertkarte für mich in die Post geben.
In meinem Alter willst du mich noch mit einer flotten Biene verkuppeln. Ins Altersheim solltest du mich stecken. Übrigens hat sich noch keiner über meine Figur beklagt. Wer es lieber muskulöser hat, sucht sich eben wen anderen, einen Fußballer, einen Gewichtheber oder so.
Wenn du willst, kann ich dir meine Bohrmaschine mit dem Aufsatz leihen und andere Utensilien. Ich habe schon einige Wohnungen renoviert, weil mir das früher großen Spaß gemacht hat, und ich mir die Handwerker nicht leisten konnte.
Am Samstag nutze ich oft das Zimmer in der Firma. Einfach ohne Ernas Kommentare sein.
Was du befürchtest, dass ich mich am Wochenende hier überarbeite, ist überhaupt nicht zutreffend.
Danke für deinen überraschenden Anruf, ich habe mich total gefreut.
Ich möchte mich noch diese Woche für Fahrstunden anmelden. Der beigefügte Lebenslauf ist am gestrigen Stand.
Viele Grüße, Artur
Montag, 16. November, 15.51
Betreff: Und noch anderes mehr
Liebe Marlene! Alle feiern hier schon wieder einmal mit Brötchen und reichlich Alkohol. Ich bin aber seit gestern auf Nulldiät. Worüber du den Kopf schütteln wirst.
Gestern Abend war ich Bouldern in der Halle. Es lief recht gut. Aber ich werde nun regelmäßig Krafttraining machen. Und leichter muss ich werden. Beim Klettern spürt man das Verhältnis Kraft zu Gewicht enorm. Aber das interessiert dich nicht, ich weiß es, keine Sorge.
Wie ist denn die Frau deines früheren Partners und wieso kennst du sie? Wieso hat er dich eigentlich verlassen?
Ja, das sind meine Eltern auf den Fotos, die ich dir geschickt habe.
Vielleicht esse ich einmal wieder Fleisch, wenn wir hoffentlich bald wieder einmal gemeinsam essen. Alleine kann ich mich dazu nicht aufraffen.
Noch keine Post erhalten heute.
Wer weiß, was meine ältere Tochter denkt. Dass ich mit Erna nicht glücklich war, ist für sie nichts Neues. Sie hat es natürlich schon von Anfang an bemerkt.
Vom Fernsehen halte ich nicht viel und tue es äußerst selten. Es müsste schon einen sehr vielversprechenden Film spielen, Nachrichten sehe ich mir nie an. Vermutlich wirst du das für einen Fehler halten.
Und du?
G eht uns der Gesprächsstoff aus, da schon das Fernsehen ins Spiel kommt? Doch die interessantesten Themen sind ja verboten.
Servus
Artur
Montag, 16. November, 16.40
Betreff: dein Lebenslauf, Mittwoch, Oma
Liebe Marlene! Die Anlage enthält den ersten Versuch deines Lebenslaufs. Sei nicht böse, wenn du mir vielleicht schon einiges erzählt hast, ich konnte mir nicht alles merken, vielleicht war ich zu abgelenkt.
Mittwoch, Vortrag? Hast du da eigentlich Zeit? Ich weiß nicht recht. Aber wenn es dir eine Freude macht, höre ich es mir halt an.
Die Geschichte, die meiner Großmutter passiert ist, ist sehr schmerzhaft für sie. Greise sind bekanntlich schon beim Blutdruckmessen überempfindlich. Und sehr arbeitsaufwendig für mich. Ich muss verschwundene Dokumente suchen, beinahe täglich durch die ganze Stadt fahren.
Dann bemerkt sie nicht, was ich alles für sie tue und beschwert sich, dass sich keiner um sie kümmere, dass ich sie lieber schon los sei, dass mir die Firma vorgehe und so weiter.
Ich habe sie jetzt in einem Pflegeheim untergebracht, das jedes Monat eine große Stange Geld kostet. Es war das einzige, in dem noch etwas frei war.
Und es ist ihr natürlich ohnehin nicht recht, dass ich sie dort untergebracht habe, daher funktionierte es nur mit viel Mühe und Geduld. Sie will lieber anderswo sein oder in ihrer Wohnung, was aber nicht geht, weil eben nichts frei ist und sie nicht mehr zu Hause sein kann. Ich kann mich nicht den ganzen Tag um sie kümmern dort.
So ein Greisenleben, das durch die moderne
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