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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Rolle des Advocatus Diaboli zu spielen. Er musste der Spielverderber sein, der ihnen vor Augen führte, dass sie nichts hatten als Spekulationen - allen scheinbaren Beweisen zum Trotz.
    Engel schaute in den Spiegel. Seine Augen waren gerötet, seine Haut fahl und seine Wangen eingefallen. Er brauchte Urlaub, dringend. Wo Angela jetzt wohl war? Der Gedanke an seine Frau brachte ein bisschen Leben zurück in seinen Körper. Er streckte sich und begann sein Hemd auszuziehen, als es an der Tür klopfte.
    «Sarah, das ist eine Überraschung.»
    «Ich denke, wir sollten unsere Unterhaltung fortsetzen.»
    Engel schloss die zwei geöffneten Hemdknöpfe und bat Sarah herein.
    «Was möchten Sie trinken?»
    «Nur Wasser. Wir brauchen einen klaren Kopf, Wolfram.»
    Engel brachte ihr ein Glas Perrier und sah sie fragend an. Fast flüsternd begann sie zu sprechen. Dabei wog sie ihre Worte sorgfältig ab, als wäre sie sich immer noch nicht sicher, was und vor allem wie viel ihres Wissens sie preisgeben wollte.
    «Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass diese ganze Operation ausgesprochen merkwürdig ist?»
    «Sie meinen die Kasernierung und Geheimniskrämerei?»
    Sarah nickte.
    «Wäre es nicht normal, mit den Funden so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit zu gehen? Ich arbeite jetzt ein paar Jahre für Henderson. Bei Ausgrabungen der HAF wurden in dieser Zeit häufiger Entdeckungen von einer gewissen Bedeutung gemacht. Niemals reichten sie allerdings auch nur annähernd an das heran, mit dem wir es hier zu tun haben. Trotzdem ließ Henderson es sich niemals nehmen, sofort und mit großem Tamtam die Presse zu informieren - und damit meine ich nicht nur die Fachorgane. Meine Aufgabe als Direktorin der PR-Abteilung bestand in erster Linie darin, ihm die Bühne für glanzvolle Auftritte zu bereiten. Und jetzt? Nichts darf nach außen dringen, als habe er vor irgendetwas Angst.»
    Engel lehnte sich zurück und drehte sein Glas in der Hand.
    «Vielleicht hat er damit ja sogar recht, Sarah. Angenommen, seine Hypothese erweist sich als richtig, und im Mausoleum liegt tatsächlich das Skelett des biblischen Jesus, würde eine frühzeitige Veröffentlichung zu unvorhergesehene Reaktionen führen. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob die christlichen Kirchen - und allen voran der Vatikan - tatenlos dabei zuschauen, wenn die Grundfesten ihres Glaubens eingerissen werden. Theologen mögen da anderer Meinung sein, aber wenn Jesu sterbliche Überreste auftauchen und damit die Auferstehung zur frommen Legende erklärt wird, bedeutet dies ohne Zweifel das Ende des Christentums.»
    Engel wunderte sich insgeheim, dass er ohne Zögern die Meinung seines Bruders übernahm, hatten sie darüber doch noch vor Kurzem erregt diskutiert. Für Thomas war der Mensch Jesus, mit dem sich der Wissenschaftler Wolfram Engel beschäftigte, nur eine Seite einer Medaille. Für den Gläubigen war Jesus Christus Menschensohn und Gottessohn in einer Person. Von dieser Wahrheit war Thomas zutiefst überzeugt, sie stellte den Kern seines Glaubens dar, an dem bisher keine noch so dramatisch daherkommende wissenschaftliche Erkenntnis etwas geändert hatte. Grundsätzlich, das wurde Wolfram Engel an diesem Abend deutlich wie nie zuvor, war keiner der Grundsätze, zu denen sich Christen im Glaubensbekenntnis bekannten, so existenziell wie die Auferstehung. In ihr offenbarte sich die ganze Macht Gottes. Er konnte seinen Sohn zu den Menschen schicken, konnte ihn durch furchtbare Prüfungen gehen lassen, die mit einem grausamen Tod endeten. Am Schluss erweckte er ihn von den Toten und holte ihn zu sich in sein Reich. Thomas hatte es bei einer leidenschaftlichen Diskussion so zusammengefasst:
    «Wir hoffen und glauben, nach dem Tode weiterzuleben in einer jenseitigen Welt. Das ist unsere menschliche Auferstehung. Wenn auch Christus nur in dieser Form auferstanden sein soll, sprechen wir ihm alles Göttliche ab und degradieren ihn zu einem Menschen wie du und ich. Die Menschen können nicht zu einem anderen Menschen beten, ihn um Hilfe oder Trost bei existenziellen Fragen bitten, so weise er gewesen sein mag. Es braucht das Göttliche, das über das Menschliche hinausreicht, um daraus Hoffnung zu schöpfen. Die leibliche Auferstehung symbolisierte dieses Göttliche, das sich dem menschlichen Verstand entzog.»
    Für Engel kam noch etwas anderes hinzu. Während sein Bruder im Untergang des Christentums eine Katastrophe für die Menschheit sah, war er der

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