Im Auftrag der Liebe
viele Sachen aufgespürt. Die Manschettenknöpfe meines Vaters, das Portemonnaie meiner Mutter, den heiß geliebten WWF-Anstecker meiner Großmutter. Gelegentlich hatte ich sogar verlorene Besitztümer meiner besten Freundinnen, Marisol und Em, entdeckt, ohne dass sie je herausbekamen, wie ich das angestellt hatte.
Aber ich hatte noch nie eine Leiche gefunden.
Den Körper eines Menschen, der höchstwahrscheinlich ermordet worden war. Warum hätte man ihn sonst ohne Sarg in einem öffentlichen Park verbuddelt?
Langsam hob ich den Kopf. Alles drehte sich. Ich hatte einen fürchterlichen Schwindelanfall. Ich legte den Kopf in den Nacken und atmete in tiefen Zügen ein und aus, während ich mich auf die apfelgrünen und auberginenfarbenen Streifen des Raffrollos konzentrierte.
Der Raum hörte langsam auf, sich zu drehen.
Ich wühlte in meiner riesigen Schultertasche herum, fand eine Flasche Wasser und schraubte den Deckel ab. Dann gab ich etwas Wasser auf meine Finger und kühlte mir damit das Gesicht.
Jede Regel hat ihre Ausnahme.
Meine übersinnliche Fähigkeit wurde durch Geschenke aus dem Gleichgewicht gebracht. Soweit ich wusste, waren das die einzigen Dinge, die ich durch den Kontakt zu beiden Menschen wiederfinden konnte. So ein Präsent hat nämlich zwei Besitzer – den, der es verschenkt, und den Empfänger dieser Gabe.
Und deshalb erreichte mich die Energie des Schmuckstücks durch Michael, auch wenn es, genau genommen, Jennifer gehörte.
Ich war völlig durcheinander.
Der Ring, den ich gesehen hatte, steckte am Finger einer Leiche, die man in North Weymouth in einem Park vergraben hatte – also in der Stadt, in der Michael lebte. Zufall? Wohl kaum.
Aber was sollte ich jetzt tun?
Die Polizei anrufen? Man brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um sich auszumalen, wie diese Unterhaltung enden würde.
Versuchen, die Leiche auf eigene Faust zu finden? Es war eine Überlegung wert. Aber was dann?
Eine weitere Möglichkeit bestand darin, einfach gar nichts zu tun.
Die verwarf ich allerdings sofort wieder. Ich gehörte nicht zu den Leuten, die die Dinge aussitzen.
Suzannah hockte hinter ihrem Rezeptionstisch und starrte mit Tränen in den Augen auf den Fernseher, wo weiter über den vermissten Jungen berichtet wurde, wie ein leuchtend gelber Schriftzug auf dem Bildschirm verriet.
»Du siehst schlecht aus«, bemerkte sie.
»Dasselbe habe ich auch gerade gedacht.«
Sie wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Fernseher, während sie die unterste Schublade des Tisches aufzog und sich eine Hand voll Flips nahm. »Mein Neffe ist etwa genauso alt. Die Geschichte geht mir einfach an die Nieren.«
Ich überflog den Lauftext am unteren Bildrand und runzelte die Stirn. »Jetzt wird der Vater verhört?«
»Erinnerst du dich noch an den Vorfall, als eine Frau ihre Jungen in einem See ertränkt hat und dann behauptete, sie wären von einem Autodieb entführt worden?«
»Leider ja«, murmelte ich.
»Die Polizei geht der Frage nach, ob der Vater wirklich einen Anfall hatte oder nicht. Es gab keine Zeugen. Taucher suchen den Aaron-River-Stausee ab.«
»Vielleicht solltest du dir das besser nicht angucken.« Mir zumindest ging es dadurch schlechter. Wenn man sich nur vorstellte, ein Vater könnte sein eigenes Kind umgebracht haben …
»Du hast Recht.« Sie stellte den Fernseher ab, erhob sich hastig und ließ sich dann wieder auf den Stuhl fallen. »Ich fühle mich so nutzlos.«
»Warum fährst du nicht hin und hilfst bei der Suche im Wald? Ich bin sicher, dass sie Freiwilligenteams zusammenstellen.«
Sie sprang wieder auf. »Das sollte ich wirklich. Das mache ich!« Sie eilte zum Schrank, griff nach dem Burberry-Mantel und ihrer Handtasche. Draußen brach die Dämmerung herein und warf erste Schatten. Ich ging zum Fenster, zog die Vorhänge zu und schaltete eine Stehlampe an.
Suzannah hielt auf die Tür zu, blieb dann aber abrupt stehen. »Und was ist mit dir?«
»Ich komme schon klar. Ich sehe nach dem Gaskamin, schließe ab und schaue noch kurz bei Sam vorbei, bevor ich nach Hause fahre.« Nach den Geschehnissen des heutigen Tages würde mir ein vertrautes Gesicht guttun.
»Wie geht es Em und Marisol?«
»Die bekomme ich ja kaum noch zu Gesicht. Marisol geht völlig in ihrer Arbeit in der Tierklinik auf, und Em verliert wegen des Praktikums in der Pädiatrie und den Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit langsam völlig den Verstand.«
Suz zog den Gürtel ihres Mantels enger und nickte. »So ist
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