Im Auftrag der Liebe
Augen.
»Nichts?« Wieder berührte er meine Handfläche.
Lippen, die sich treffen. Hände, die unsere Körper erforschen. Eine nackte Brust. Ein heißer Blick.
Ich riss die Augen auf, befreite hastig meine Hand und schob sie mir schützend unter den Arm.
Der Regen war stärker geworden und schlug gegen die Windschutzscheibe. Ich war völlig durcheinander und versuchte, ihn nicht anzusehen, aber ich hatte nicht die Kraft, mich dagegen zu wehren, als er mein Kinn anhob. Sein Daumen berührte dabei meine Unterlippe. Ich glaube, ich muss wohl gestöhnt haben.
»Ich kann es nicht sehen, Lucy.« Er hielt die Hand hoch. »Aber ich kann es spüren .«
»Ich verstehe das einfach nicht«, schnaufte ich. Tränen schossen mir in die Augen, so sehr wollte ich ihn. »Ich kann es nicht erklären. Und es bringt auch gar nichts, darüber zu reden. Wir sollten gehen.«
Ich öffnete die Tür auf meiner Seite und gab ihm dadurch nicht die Gelegenheit, mir zu widersprechen. Dann rannte ich auf das Hauptgebäude zu, wich Pfützen aus und bemühte mich, nicht an die Schmerzen zu denken.
Unter dem Schutz des Vordachs rieb ich mir die Augen und schalt mich selbst für meine überbordenden Gefühle. Sean lief über den Parkplatz, sein Hemd wurde ganz nass. Er fuhr sich mit den Fingern durch das feuchte Haar, sodass es stachelig nach allen Seiten abstand. Mir fiel auf, dass er keuchend atmete.
»Geht es dir gut?«, fragte ich.
»Alles in Ordnung.«
Ich sah ihn lange prüfend an. Äußerlich war er perfekt in Form. Auf der Heiße-Typen-Skala würde er zehn Punkte erzielen. Was war mit ihm bloß passiert? Welche Verletzung hatte ihn dazu gezwungen, bei der Feuerwehr aufzuhören? Warum hatte er so gar keine Kondition?
Wir machten uns über einen Außenkorridor auf den Weg zu Ruth Anns Wohnung. Als wir schließlich bei ihr klingelten, waren wir klitschnass.
»Meinst du, sie wird überhaupt mit uns sprechen?«
Sean zuckte mit den Achseln. »Man kann nie wissen.«
Die Tür wurde langsam geöffnet. Sanfte Falten umrahmten ein herzförmiges Gesicht. »Ja?«
»Mrs Yurio?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, Schätzchen.«
»Ist Mrs Yurio denn da?«, erkundigte ich mich.
»Darf ich fragen, worum es geht?«
Tropfnass erwiderte ich: »Ich bin Lucy Valentine und das ist Sean Donahue. Wir würden mit Mrs Yurio gerne über Rachel sprechen.«
»Valentine?«, fragte die Dame zögernd. Die Fältchen um ihre Augen verstärkten sich noch.
»Ja, Madam.«
»Sind Sie die Frau, die heute in der Zeitung stand?«
Ich atmete einmal tief durch und bestätigte dann.
Sie machte die Tür weiter auf. »Kommen Sie doch herein.«
Das Apartment bestand aus offenen Räumen, die ineinander übergingen und nur durch Säulen abgetrennt waren. Ein Vanillearoma lag in der Luft, als die alte Dame uns zu zwei brokatbezogenen Sofas führte, die einander gegenüberstanden. Der Duft konnte einen gewissen Krankenhausgeruch nicht völlig überdecken.
»Ich hole erst mal ein paar Handtücher«, sagte sie und verschwand in einem engen Korridor.
Als sie zurückkam, legte sie zwei Badetücher aufs Sofa. »Ich bin Marilyn Flynn. Ich kümmere mich um Ruth Ann.«
»Kümmern?«, fragte ich.
Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf eine offene Tür im Flur. Man konnte das Gestell eines Krankenhausbettes erahnen. »Sie hatte vor vielen Jahren einen Schlaganfall und hat sich davon nie wieder richtig erholt. Sie ist nicht ganz da«, erklärte sie sanft.
»Wie lange ist das her?«, fragte Sean.
»So etwa acht Jahre.«
Acht Jahre? »War es denn nicht sie, die Rachel als vermisst gemeldet hat?«
Die Frau lächelte matt. »Im Prinzip schon. Als Rachel vor sechs Jahren an Weihnachten nicht bei uns vorbeischaute, wusste ich, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. An den Feiertagen meldete sie sich sonst immer. Ich bin mit Ruth Ann zur Polizei gegangen, und wir haben eine Vermisstenmeldung aufgegeben. Damals war sie noch einigermaßen mobil, aber ich habe die meisten Informationen geliefert.«
»Sind Sie eine Verwandte?«, erkundigte sich Sean.
»Ich bin ihre Familie, auch wenn das Blut etwas anderes sagt«, erklärte sie. »Ruth Ann und ich sind zusammen aufgewachsen. Nach dem Schlaganfall haben es weder Rachel noch ich übers Herz gebracht, sie in ein Heim zu stecken, also habe ich mich angeboten, bei ihr einzuziehen und sie zu versorgen, auch wenn sie sich nicht mehr an mich erinnert.«
Die Liebe in der Stimme der Frau brach mir das Herz. »Das tut mir so
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