Im Auftrag der Liebe
bei sich hatte. Einen iPod, ein Handy, Ohrringe, ein Sweatshirt. Irgendetwas, das sie von jemand anderem geschenkt bekommen hat.«
Langsam wurden mir die Ausmaße dessen klar, was er mir da vorgeschlagen hatte, und ich ließ mich in die Couchkissen zurücksinken. Es juckte mir in den Fingern, nach der Mappe auf dem Tisch zu greifen.
Aiden tippte mit dem Nagel darauf. »Hier haben wir zum Beispiel den Fall von Jamie Gallagher, die auch als vermisst gilt. Sie war sechzehn, als sie letzten Winter auf dem Weg zur Schule verschwand.«
Auf einmal hatte ich einen Kloß im Hals. »Sie wissen aber schon, dass nicht alle Fälle wie der von Max ausgehen werden?«
»Dessen bin ich mir bewusst. Aber jeder Hinweis hilft uns weiter. Und selbst wenn wir nur noch eine Leiche ausfindig machen – Sie können sich nicht vorstellen, welche Erleichterung es für die Familien bedeutet, endlich Gewissheit zu haben. Mit der Sache abzuschließen. Ich lasse Ihnen mal die Mappe hier. Sie können sie mitbringen, wenn Sie bei uns auf der Dienststelle vorbeischauen. Denken Sie einfach mal darüber nach, Lucy.«
»Mache ich.«
Er streckte mir die Hand entgegen. Ich schüttelte sie. Bilder wirbelten herum und flogen in Schwindel erregendem Tempo an mir vorbei. Ich verlor das Gleichgewicht, zog meine Hand zurück und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »War das etwa ein Test?«
Er blinzelte mich unschuldig an.
»Ihre Kamera liegt auf dem Meeresgrund, irgendwo bei Nantasket Beach.«
Er grinste. »Bestanden.«
Die Haustür ging auf, und Em kam herein. Sie errötete, als sie Aiden entdeckte.
Ach, wie interessant!
»Störe ich?«, erkundigte sie sich.
»Ich wollte gerade wieder los«, erklärte Aiden.
»Ich, ehrlich gesagt, auch.« Sie reichte mir die Autoschlüssel. »Ich bin nur zurückgekommen, um dir den Wagen wiederzubringen, Lucy.«
»Du gehst schon?«, fragte ich.
»Nach Hause.«
»Sicher?«
»Ja. Ich habe heute meine Kündigung eingereicht. Jetzt ist es an der Zeit, sich den Dingen zu stellen. Morgen werde ich mit meiner Mutter reden. Könntest du mich vielleicht noch zum Bahnhof bringen?«, bat sie.
»Ich nehme Sie mit«, schlug Aiden rasch vor.
»Das kann ich jetzt wirklich nicht von Ihnen …«
»Ich muss sowieso in die Richtung«, sagte er mit Nachdruck.
»Na gut.«
Ich sah, wie die beiden sich anschauten. Joseph sollte wohl lieber auf der Hut sein.
Auf einmal runzelte Em die Stirn. »Aber wie egoistisch von mir! Ist es für dich überhaupt in Ordnung, wenn du hier draußen ganz alleine bleibst, Lucy? Ich kann auch noch ein bisschen bleiben, dann quatschen wir ganz in Ruhe.«
Ehrlich gesagt hatte ich für heute bereits genug geredet. »Das geht schon. Und außerdem ist Dovie ja nicht weit.«
»Okay«, nickte Em und drückte mich. »Erhol dich ein bisschen, in Ordnung?«
Als ich gerade hinter den beiden abschloss, klingelte mein Handy, und ich ging hastig ran. Es war Sean.
»Hi«, sagte ich. »Wie geht es Thoreau? Der war heute ja ziemlich lange alleine.«
»Es geht ihm gut, und ich hoffe nur, dass Sam die Flecken aus seinem Wohnzimmerteppich wieder rauskriegt. Was läuft bei dir so?«
Ich lachte, was mir mit dem Kloß im Hals nicht leichtfiel. Die Jamie-Gallagher-Mappe auf dem Tisch erinnerte mich daran, dass ich eine wichtige Entscheidung treffen musste. »Dies und das. Em ist gerade weg, sie kehrt nach Hause zurück. Holliday hat mit den Papieren vorbeigeschaut. Oh, und ich habe Max wiedergetroffen!« Ich erzählte ihm alles ausführlich.
»Ich wäre gerne dabei gewesen, um das zu sehen«, entgegnete er sanft.
»Das hätte ich auch schön gefunden.«
Und ich wünschte auch jetzt noch, er wäre da.
◊ 22 ◊
W enn man für Engelsgeduld heiliggesprochen würde, dann hätte ich diesen Status inzwischen längst erreicht.
Sean und ich waren mit seinem Wagen unterwegs und fuhren auf der I-95 in Richtung Süden.
Wir hatten jetzt bereits fünf Stunden zusammen verbracht, und er hatte seine Narbe nicht ein einziges Mal erwähnt.
Sean hatte mich ganz früh abgeholt, und wir hatten Thoreau in meiner Küche zurückgelassen, sodass Grendel ihn vom Kühlschrank herab ärgern konnte. Dann waren wir zum Lagerhaus gefahren, um Rachels Sachen durchzugehen. Und jetzt waren wir auf dem Weg nach Rhode Island, um Elena zu besuchen … und immer noch kein Wort.
Vielleicht sollte ich einfach fragen.
Aber ich wollte, dass er es mir von sich aus sagte, mich an seinem Leben teilhaben ließ.
»Du bist so ruhig«,
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