Im Auftrag der Rache
sich immer wieder verlassen konnte. »Wir müssen die Stadt vollkommen evakuieren«, entschied er. »Und zwar sofort.«
Im linken Auge des Principari zuckte es. »Glaubst du wirklich, dass unsere Lage so schlimm ist? Ich habe gehört, die Matriarchin sei tot.«
»Das ist ein Gerücht. Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Wie dem auch sei, sie werden Tume einnehmen wollen, bevor sie auf Bar-Khos zumarschieren. Es ist für sie zu risikoreich, uns hier im Rücken zu haben.«
Vanichios atmete tief ein und blies sich geradezu mit Luft auf. »Diese Zitadelle steht schon seit dreihundert Jahren, Marsalas. Ich habe fünfhundert Männer in meiner Heimgarde. Es sind gute Männer – Männer, die hart kämpfen werden.«
»Diese Zitadelle wurde für andere Zeiten erbaut, als die Armeen nur Wurfgeschosse und Pechzuber hatten. Die Kanonen des Reichs werden die Tore in wenigen Stunden zerschießen. Das weißt du genau, alter Freund.«
»Aber darum geht es nicht«, sagte der Principari. »Tume ist seit neun Generationen das Zuhause meiner Familie, Marsalas. Ich kann es nicht einfach verlassen.«
»Wenn du es nicht tust, wirst du hier sterben.«
Ein beredtes Schweigen senkte sich auf die beiden Männer herab.
»Ich hätte es nie erlauben dürfen, dass die Stadtkanonen weggenommen werden«, meinte Vanichios. »Wenn ich sie damals aufgehalten hätte, würden wir uns jetzt nicht in einer so schlimmen Lage befinden.«
»Aber dann wäre der Schild vermutlich gefallen. Außerdem ist jetzt nicht die Zeit für Wenn und Aber.«
»Der Schild könnte noch immer fallen. Während wir hier miteinander reden, wird er mit schwerem Feuer angegriffen. General Tanserine bemüht sich nach Kräften, Kharnosts Mauer zu halten, aber er wird schwer bedrängt.«
Jetzt war es an Glaub zusammenzuzucken. Tanserine war der beste Verteidigungsgeneral, den sie hatten. Wenn es ihm schwerfiel, dem Angriff standzuhalten, dann war es der heftigste, den sie je gesehen hatten.
Die Tore der Halle schwangen auf, und Schneeregen trieb herein. Eine kalte Brise fuhr an Glaubs Hals entlang.
Die Männer fluchten und riefen, man sollte die Tür schließen. Als die Neuankömmlinge ins Innere drängten, war kurz Kanonendonner aus der Ferne zu hören. Die wenigen Mörser der Armee feuerten auf das Ufer.
»Wir müssen uns beeilen«, meinte Glaub, auch wenn er feststellen musste, dass er nicht aufstehen konnte.
»Ja«, stimmte Vanichios ihm zu und regte sich ebenfalls nicht.
Erschöpft schaute sich Glaub um und wollte nach Bahm rufen. Aber da erinnerte er sich daran, dass Bahm diesmal nicht bei ihm war. Vermutlich war er bereits tot.
Er rieb sich das Gesicht und die Augen, als ob er dadurch die Welt einen willkommenen Moment lang aussperren könnte. Die Trauer um die Männer, die er verloren hatte, lauerte in seinem Hinterkopf, aber er verspürte auch Erleichterung darüber, dass sein Plan wunderbarerweise funktioniert hatte. Er hatte seine Soldaten in die Schlacht und wieder aus ihr herausgeführt, ohne dass er alle Männer verloren hatte.
Dieses Gefühl war so mächtig, dass Glaubs Finger darun ter erzitterten. Sein Blick wurde trübe vor Ergriffenheit.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Marsalas?«
»Ich bin bloß müde«, sagte Glaub und fühlte sich einen Augenblick lang verloren. Alt.
»Der Krieg ist etwas für junge Männer«, kam Vanichios ihm zu Hilfe, »und für Fanatiker der Selbstanbetung, die die ganze Welt erobern wollen.«
»Allerdings.«
»Zur Hölle mit ihnen«, verkündete der Principari, und seine Augen glühten vor plötzlicher, stolzer Wildheit.
Dieser Blick führte Glaub mehr als fünfzehn Jahre zurück und erschuf einen Kloß in seiner Kehle sowie eine große Zuneigung in seinem Herzen.
Er erkannte, dass sich sein alter Freund zum Sterben bereitmachte.
*
Asch zog sich den Mantel über den Kopf, auch wenn das die genähte Wunde reizte. Er versuchte verzweifelt, nicht zu husten, weil ihm das weitere Schmerzen bringen würde. Das Zel stapfte müde über die hölzernen Bürgersteige von Tume, und er schwankte im Rhythmus des Tieres, schlief halb, war halb wach und nahm alles losgelöst und wie im Traum wahr.
Der Diplomat ging vor ihm her und hielt die Zügel in seiner behandschuhten Hand. Um den jungen Mann drängten sich Tausende Menschen auf den Bürgersteigen. Sie hatten so viel bei sich, wie sie tragen konnten, und waren zum Kanal unterwegs, der parallel zur Hauptstraße verlief. Boote aller Größen legten in den See ab oder senkten
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