Im Auftrag der Rache
verschwunden, das Haar stand ihm zu allen Seiten vom Kopf ab, und seine scharlachfarbene Robe hing zerfetzt über der Rüstung. Dennoch stand er aufrecht und mit klarem Blick da – ein guter Mann, wie es schien, der in der Lage war, großen Druck auszuhalten.
Glaub erinnerte sich daran, dass er einen neuen Leutnant brauchte. Allerdings müsste er sich dazu eingestehen, dass Bahm nun tot in Chey-Wes lag, und das konnte er noch nicht.
»Was schlägst du vor, Korporal?«
Bere wirkte erstaunt darüber, dass Glaub ihn nach seiner Meinung gefragt hatte. »Ich weiß nicht, General. Vielleicht sollten mehr Männer zu ihnen geschickt werden, die sie davon abhalten.«
Glaub dachte über seine Worte nach.
»Sie sind noch immer ein freies Volk«, entschied er. »Wenn sie das Risiko eingehen wollten, dann sollten wir sie nicht daran hindern.«
Der Korporal nickte und stieg wieder auf sein Zel. Glaubs Leibwächter machten ihm den Weg frei, als er sein Tier zum Galopp antrieb und die Soldaten, die die Straßen und Gehwege verstopften, verscheuchte.
Glaub stand mitten auf der Brücke, die den breiten Zentralkanal überspannte. Er schlug mit den Händen auf das Geländer und schaute ausdruckslos auf das Chaos vor seinen Augen. Ein Luftschiff legte vom Dach eines Lagerhauses in der Nähe ab; es war mit Verwundeten und Zivilisten überladen.
Die Stimmung der verbliebenen Bewohner wurde verzweifelt, als der neue Tag dämmerte und sie feststellen mussten, dass sie noch immer hier waren. Sie wollten um jeden Preis fliehen. Aber die beiden Ströme, die aus dem See abflossen – der Chilos und der Soog –, waren von den Reichstruppen blockiert worden, so dass jeder, der in einen der Flüsse einfuhr, unter Beschuss von beiden Ufern geriet. Vor einer Stunde hatte Kapitän Trensch vom Luftschiff Falke berichtet, der Chilos sei vom Blut der darin treibenden Leichen rot gefärbt.
Sie glauben nicht, dass wir sie beschützen können , dachte der General, als er das wilde Durcheinander um den Kanal herum betrachtete.
Das konnte er ihnen kaum vorwerfen. Die Armee war angeschlagen und getrieben vom Feind in Tume eingefallen. Sie hatte nicht so gewirkt, als könnte sie auch nur eine einzige Brücke halten, von einer ganzen Stadt ganz zu schweigen, und ohne die schweren Kanonen war es tatsächlich sehr fraglich, ob es ihnen gelingen konnte.
Eine Brise fuhr mit kalten Fingern durch Glaubs langes Haar. Er legte den Kopf zurück und bemerkte den feuchten Verwesungsgeruch des Seekrauts zwischen den anderen Gerüchen der Stadt. Ihm hatte es in Tume immer gut gefallen, als er damals seinen alten Kameraden Vanichios hier besucht und mit ihm getrunken, gehurt und gespielt hatte, als sie noch junge, unverheiratete Offiziere gewesen waren und sich all den Luxus hatten leisten können, der dem Sohn eines Principari zustand.
Hinter dem Zentralkanal erhob sich die Zitadelle, die alte Festung auf der Kuppe der Felseninsel. Ein Graben umgab diesen Felsen in Gestalt eines Kanals. Es befanden sich keine Boote mehr darin, denn Vanichios hatte seine Familie sowie alle Zivilisten unter seiner Herrschaft in der vergangenen Nacht evakuieren lassen.
Sein Freund hingegen wollte weiterhin hierbleiben und kämpfen. Selbst jetzt noch zogen die Überreste seiner Heimatwache Wagen mit Vorräten zur Vorbereitung auf eine mögliche Belagerung in die Zitadelle, während auf den Brustwehren die Leinwandhüllen von den Bolzenwerfern und anderen Geschützen abgenommen wurden.
Trotz Vanichios’ gegenteiliger Behauptung war die Heimatwache während der vergangenen Nacht in Scharen davongelaufen, so dass nur noch weniger als die Hälfte der Männer zur Verfügung stand. Vanichios hatte geflucht und sie in ihrer Abwesenheit als Feiglinge und Hunde beschimpft. Mit glühenden Augen hatte er Glaub darum gebeten, die Armee nicht aus Tume abzuziehen, sondern die Stadt zusammen mit ihm zu verteidigen.
Einen Augenblick lang hatte sich Glaub von der Leidenschaft seines alten Freundes anstecken lassen. Es war mehr als ärgerlich, schon wieder vor den Reichstruppen davonlaufen zu müssen. Doch sein kalter, gesunder Menschenverstand war rechtzeitig zurückgekehrt, bevor er etwas sagen konnte.
Tume war ein Grab, das darauf wartete, gefüllt zu werden. Eine Verteidigung der Stadt würde alle umbringen, die bisher überlebt hatten, denn die Reserven aus Al-Khos waren mit ihren schweren Kanonen noch drei ganze Tagesmärsche entfernt und würden den Ausgang des Kampfes daher nicht mehr
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