Im Auftrag der Rache
gewann mehr Geld, als er verlor, wenn auch auf eine sehr gleichgültige Weise. Und allmählich hatte sie sich ebenfalls in dem Spiel zurechtgefunden. Sie hatte mit ihm und den anderen gespielt, mit ihren Karten und ihrem Geld, und sich darin beinahe so verloren wie mit einem Mann im Bett. Mit jedem Schluck des bitteren Keratsch, den sie an der Theke gekauft hatte, wurde sie betrunkener.
Gegen Morgen war das Hastelspiel zu einem Durchhaltewettbewerb geworden. In der Kellertaverne war es jetzt ruhiger, denn die Bedürfnisse der Soldaten hatten sich inzwischen auf Schlaf und Essen gerichtet. Heiße Mahlzeiten wurden von den wenigen verbliebenen Kellnerinnen gereicht, unter denen sich auch die Eigentümerin Calhalee befand. Die Frau verweigerte inzwischen jede Bezahlung. Überall im Raum wurden die Laternen neu befüllt, auch wenn das Tageslicht inzwischen den Glasboden erhellte und ein blaues Flackern an Wände und Decke warf.
Einige Männer verließen den Spieltisch und wurden durch andere ersetzt, aber ein harter Kern blieb. Unter ihnen waren der fette Kriegskorrespondent Koolas und der Mann namens Ché, der sich offenbar genau wie sie selbst der Trunkenheit und dem Vergessen anheimgeben wollte, denn er becherte noch immer heftig.
Ihre Gedanken drehten sich so langsam wie die vergehenden Stunden. Sie redete mit Ché und den anderen Spielern am Tisch, machte Witze und lachte, aber während der ganzen Zeit stand ein verängstigter Teil von ihr auf dem nächtlichen Feld bei Chey-Wes, während sich die Männer um sie herum zerhackten und aufspießten.
»Sag mir«, meinte sie zu Koolas, »was fehlt den Mhanniern, dass sie die ganze Welt erobern wollen?«
Der Mann kritzelte gerade etwas in sein Notizbuch, während er gleichzeitig spielte. Ruckartig schaute er hoch. »Haare?«, schlug er vor, bevor er sich wieder seinen Notizen widmete.
»In Lagos kennen wir eine Geschichte«, fuhr sie fort. »Es ist die Geschichte vom Ende des Zeitalters. Sie sagt uns, dass eine Zeit kommen wird, in der die Lüge als Wahrheit angesehen und die Wahrheit offen verachtet wird. Es ist eine Zeit, in der eine Schar toter Seelen die Welt nach ihrem Abbild gestaltet und nur wenige Männer und Frauen übrig bleiben, um ihnen Widerstand zu leisten.«
Koolas nickte geistesabwesend. »Ich glaube, ich habe schon davon gehört. Am Ende ertrinkt Lagos in seinen eigenen Tränen, nicht wahr?«
Löckchen erinnerte sich auch an diesen Teil der Geschichte. Sie errötete, als Koolas rasch aufblickte und sagte: »Es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Er verstummte; ihm schien plötzlich unbehaglich zu sein.
»Im Hochpasch gibt es eine ähnliche Geschichte«, warf Ché mit trunkener, schleppender Stimme ein. Er hatte noch immer die Hände um ihren Becher mit Keratsch geschlossen, den zu probieren sie ihm erlaubt hatte. »Sie handelt von einem Großen Hunger, der die Menschen gegen die Welt richtet. Er e ¯ s schluckt sie am Ende alle. Alle bis auf jene, die sich dagegen gewehrt haben.«
»Ich hoffe, das stimmt«, sagte sie und hörte den bebenden Hass in ihrer eigenen Stimme, der sie in seiner Giftigkeit überraschte. »Ich hoffe, dass jeder Einzelne von ihnen vom Antlitz dieser Welt getilgt wird!«
Ché bedachte sie mit einem seltsamen Blick und schloss das eine Auge zum Teil.
»Ich hatte mir gedacht, dass ich dich hier finde.«
Löckchen schaute auf und sah Kris neben sich stehen. Die Frau hielt einen vollen Becher in der Hand.
»Komm, Kris, und setz dich zu uns.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Das ist nichts für mich. Ich mache nur die Runde und stelle fest, wo sich jedermann aufhält.«
Löckchen langte über den Tisch und nahm Ché den Keratsch-Becher aus den Händen. »Steht schon fest, wann wir ablegen?«
»Morgen früh; Bolz hat es mir gerade gesagt. Er braucht ein paar Medicos, die hierbleiben, bis die letzten Boote auslaufen.« Sie sah zu, wie Löckchen einen tiefen Zug tat. »Mit diesem Zeugs solltest du vorsichtig sein. Da draußen herrscht allmählich der Wahnsinn. Du wirst einen klaren Kopf brauchen.«
»Kris, entweder trinke ich das hier, oder ich schreie mir eine Stunde lang die Lunge aus dem Leib.«
»Pass trotzdem auf. Und spaziere nicht allein herum.«
»Das werde ich nicht«, versprach Löckchen. Es klang, als würde sie es ernst meinen.
Kris warf einen Blick auf Ché und dann wieder auf sie.
»Bis später.«
*
»Hoon, zieh deinen verdammten Kopf ein!«
Halahan brüllte diese Worte, als eine weitere Kanonenkugel
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