Im Auftrag der Rache
wünschte nur … ich wünschte nur …« Sie schloss die Augen und spürte Feuchtigkeit auf ihren Wangen sowie einen Schmerz in der Brust, als ob die ganze schreckliche Welt darauf stünde.
Sie rang nach Luft und schnaufte schwer, bis ihre Haut mit Schweiß bedeckt war. Sie keuchte, blinzelte und richtete den Blick wieder auf Lucian. Hinter ihm war das Wasser des Sees, das sie durch das Fensterglas sehen konnte, ein schwarzes Nichts, das nur darauf wartete, sie zu umschlingen.
»Was soll ich bloß tun?«, ächzte sie, war ganz verloren in sich selbst. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Sein starrer Blick besaß die Kraft eines niederstoßenden Messers.
» Stirb .«
*
Ein plötzliches Leuchten erstrahlte am Nachthimmel über Aschs Kopf. Sein Blick wurde unwiderstehlich von dem hellen Boden vor ihm angezogen.
Asch sah, wie sich sein eigener Schatten von den Füßen aus in die Finsternis erstreckte.
Er zögerte.
Einige Herzschläge lang starrte er hinunter auf das Messer und die Zündschnur, die er in seinen zitternden Händen hielt. Ein seltsamer Knabe , ertönte es in seinem Kopf. Nico hatte das einmal über den R o ¯ schun-Seher gesagt.
Warum kam ihm gerade das jetzt in den Sinn?
Der Seher hatte Stäbchen für sie geworfen, bevor sie zu einer Vendetta nach Q’os aufgebrochen waren. Er hatte gesagt, dass ein großer Schock auf Asch wartete, und er hatte von den Pfaden gesprochen, die sich dahinter für ihn erstreckten.
Nach dem Schock wirst du zwei Pfade vor dir sehen. Wenn du den einen Pfad einschlägst, wirst du versagen, obwohl dich dafür keine Schuld trifft und noch viel zu tun bleibt … auf dem anderen Pfad wirst du am Ende siegen, aber große Schuld auf dich laden, und nichts wird dir helfen .
Wie furchtbar , dachte Asch. Nichts wird dir helfen .
Er blinzelte. Tränen stachen in seinen Augen. Er ließ die Hand sinken, und das Messer klapperte zu Boden.
Das Leuchten verblasste und nahm seinen Schatten mit.
Kapitel neununddreißig
Die Zusammenkunft
Löckchen stand auf dem Dach des Lagerhauses, während einige Männer auf einer Strickleiter hoch in das wartende Luftschiff kletterten. Es war schwer beschädigt; die Außenhülle war verkohlt, und die Takelage hing in Fetzen. Ein weiteres Schiff stieg bereits träge in die Luft und beschrieb eine lange Kurve nach Süden. Sein Oberdeck war mit Soldaten vollgestopft.
Es war die zweite Fahrt, die diese Schiffe machten, seit sie hier eingetroffen waren. Graujacken und Bogenschützen standen am Rand des Daches und feuerten auf die Reichssoldaten, die sich ihrer Stellung näherten. Weitere feindliche Kräfte zogen sich um den Hafen zusammen. Es war klar, dass dies die letzte Fahrt sein würde, bevor das Gebäude gestürmt wurde.
»Worauf wartest du noch?«, fragte ein an ihr vorbeikommender Freiwilliger, der so hager und abgerissen war, dass er zwanzig oder auch vierzig Jahre alt sein konnte.
»Auf einen Freund!«, rief sie durch den Lärm des Gewehrfeuers.
»Mädchen, wir müssen jetzt gehen. Wir können nicht mehr warten.« Er versuchte sie zum Schiff zu ziehen.
»Lass mich los!«, schrie sie ihm ins Gesicht und befreite sich aus seinem Griff. Einen Moment lang wirkte er verwirrt, aber dann gab er es auf und rannte auf das Luftschiff zu.
Löckchen beobachtete den Himmel und sah noch immer keine feindlichen Luftschiffe. Sie machte einige Schritte zum Rand des Daches und schaute hinunter auf die Straßen, die voller Reichssoldaten waren. Einige khosische Truppen erreichten gerade noch das Lagerhaus; ein paar Soldaten rannten auf es zu, andere bildeten Schlachtformationen und wichen systematisch zurück.
Wo bleibst du, du Narr?
Löckchen wusste nicht, was sie von diesem Mann halten sollte, den sie erst vor kurzem kennengelernt hatte. Irgendwie schien er die richtigen Saiten in ihr zum Klingen gebracht zu haben. Ihr Liebesspiel war leidenschaftlich, ausgelassen und frei gewesen. Aber was bedeutete er ihr darüber hinaus?
Er war ein Rätsel, und zwar ein gefährliches, das spürte sie.
Löckchen war schon zweimal in ihrem Leben auf solche Männer hereingefallen. Allmählich vermutete sie, dass dies ein Zug an ihr war, der ihr nicht guttat, denn im Nachhinein hatten sich beide als selbstsüchtige Bastarde herausgestellt.
Aber jetzt herrschte Krieg, und sie hatte festgestellt, dass es stimmte, was die Soldaten sagten. Der Krieg erschuf außergewöhnliche Umstände. Man verspürte die Verpflichtung, rücksichtslos und aus dem Vollen heraus zu
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