Im Auftrag der Rache
Er setzte sich auf, stützte die Arme auf die Knie und ließ den Kopf zwischen ihnen hängen. Er starrte auf die kleinen Pfützen, die sich dort bildeten, wo das Wasser des Sees von seiner Haut tropfte.
Nicht weit entfernt fluchte ein Mann. Asch bemerkte Gestalten am dunklen Ende der Straße. Jemand erleichterte sich, während die anderen warteten und betrunken miteinander schwatzten.
Asch sah auf die Zündschnur, die ins Wasser hing. Er musste sie nur noch durchschneiden, ins Wasser werfen und weglaufen.
Plötzlich zog das Messer seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Klinge war rot vom Blut des Priesters, den er in der vergangenen Stunde umgebracht hatte.
Wie viele Menschen habe ich für meine Rache schon getötet? , fragte er sich plötzlich.
Er wusste es nicht mehr; irgendwann hatte er den Überblick verloren. Das machte seine Opfer gesichtslos, wertlos, es entmenschlichte sie. Die beiden aus dem Gefolge der Armee, die er während der Schlacht umgebracht hatte – einfach nur um sie loszuwerden –, waren inzwischen nur noch undeutliche Eindrücke; nur das harte Knacken des brechenden Kniegelenks war ihm in Erinnerung geblieben.
So weit war es mit Asch also schon gekommen. Für seine Rache hatte er die höchsten Gipfel erklommen und die dünnste Luft geatmet, hatte den Orden der R o ¯ schun verlassen, die einzige Heimat, die ihm geblieben war, und die einzige Lebensweise, die durch ihre strengen Verhaltensregeln seine Wut im Zaum gehalten hatte.
Er fühlte sich, als wäre er die ganze Zeit hindurch bergauf geklettert, ohne je einen Blick zurück zu werfen, und nun, wo er sich doch einmal umgedreht hatte, sah er nichts als Leichen auf dem schmalen Pfad, dem er gefolgt war, und dahinter Nico mit seinem jungenhaften Lachen und die heftige Liebe seiner Mutter, und weit hinter dem Lehrling seinen Sohn Lin, wie er lauthals zusammen mit den anderen Kriegsknappen den Schlachtgesang anstimmte, und neben einem weiß gekalkten, im Sonnenschein stehenden Haus seine Frau, die auf einen Gemahl und einen Sohn wartete, die nie zurückkommen würden.
Der Gipfel lag schon beinahe in seiner Reichweite. Er musste nur noch die Zündschnur durchschneiden.
Sascheen hatte den Tod verdient, genau wie alle in ihrer Umgebung.
Mit zitternden Fingern griff Asch nach dem Messer und zog es aus der Bodenplanke.
*
Als Sascheen erwachte, sah sie zunächst Lucian, der sie eindringlich anstarrte, und ganz kurz glaubte sie, sie wären wieder Liebende, die einander in den Armen lagen.
Aber dann erkannte sie, dass es nur ein abgetrennter Kopf war, der auf dem Nachttisch stand. Sie erinnerte sich, dass er sie betrogen hatte, und ihr Herz versank in Kälte.
»Weißt du, ich habe das nie gewollt«, sagte sie jetzt zu ihm.
Er öffnete die Lippen, und ein wenig Königliche Milch rann an seinem Kinn herunter. Aber er sagte nichts. Er beobachtete sie nur.
»Ich wollte nicht einmal Matriarchin werden. Das war das Verlangen meiner Mutter, nicht mein eigenes.«
» Ich. Weiß «, ertönte seine feuchte, rülpsende Stimme, und er starrte sie mit hasserfüllten Augen an.
Wie sollte sie es ihm bloß klarmachen? Wie wollte sie ihm die Schmerzen verdeutlichen, die er ihr verursacht hatte, und den Verlust des Glaubens an die einzige Person, von der sie geglaubt hatte, dass sie ihr vertrauen konnte? Sascheen hatte diesen Mann wie keinen anderen begehrt, und er hatte sie für seinen dummen Aufstand und den Ruhm, der damit einherging, weggeworfen.
»Ich sterbe, Lucian«, sagte sie zu ihm.
Das schien ihn zu freuen, denn er lächelte.
Selbst jetzt konnte er sie noch verletzen.
»Erinnerst du dich an die Zeit, die wir zusammen in Brulé verbracht haben?«
» Nein .«
»Natürlich erinnerst du dich. Du hast immerzu davon gesprochen. Du hast gesagt, dass wir uns dorthin zurückziehen und Oliven anbauen sollten wie einfache Bauern.«
» Ich. War. Ein. Narr .«
»Du warst alles andere als ein Narr, Lucian. Das war einer der wesentlichen Gründe, warum ich mich so zu dir hingezogen fühlte.« Wehmütig fügte sie hinzu: »Du und ich, wir waren ein gutes Paar.«
Sascheen erkannte jetzt, wie ihr Leben hätte verlaufen können, wenn sie den Mut aufgebracht hätte, ihrer Mutter zu trotzen, ihr Amt als Matriarchin aufzugeben und ein einfaches, aber angenehmes Leben mit ihrem Liebhaber zu führen. Was hatte ihr Gehorsam ihr eingebracht? Bloß einen einsamen Tod in den feuchten Eingeweiden eines Felsens und ein paar Federstriche im Gedächtnis von Mhann.
»Ich
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