Im Auftrag der Rache
.
Nur Lucians Kopf war ihr geblieben. Er sah sie schweigend an; sein Blick war voller Verzückung.
Sascheen versuchte zu sprechen. Sie musste husten und die Worte aus ihrem Mund zwingen, so wie es bei Lucian der Fall war.
»Dann sterben wir also zusammen.«
Es wurde dunkel im Raum. Ihr Verstand setzte kurz aus.
»Ruhe sanft, Lucian«, flüsterte sie. »Ich habe dich vermisst.«
Lucian sagte nichts. Im warmen Licht der Kristalllaternen glitzerten seine Augen plötzlich.
Kapitel einundvierzig
Linien im Dreck
Die Bronzeglocken der Tempel schlugen gerade die volle Stunde, als Glaub sich eine Handvoll Chilos-Wasser über den schmerzenden Körper schüttete. Er hörte zu, wie die Tropfen in den trägen Fluss zurückfielen. Dann kniff er die Nase zu und tauchte unter die Oberfläche.
Dong … dong … dong … hörte er, als er keuchend wieder auftauchte.
Der General stand in einem der ummauerten Badebereiche am Westufer des Flusses, wo sich die Tempel hoch über den Wasserspiegel erhoben. Weiter flussabwärts lagen die Festung und das Dauerlager der Hoo, das viel zu groß für die Armee und die Flüchtlinge war, die aus Tume zurückgekehrt waren. Überall am Flussufer wuschen sich die Menschen, aber Glaub war auf sein Bitten hin an dieser Stelle allein. Heute brauchte er ein wenig Zeit für sich selbst.
Er fühlte sich besser als in der Nacht, in der ihm das Atmen schwergefallen war. Er hatte Schwindel und Übelkeit verspürt. Es war unangenehm gewesen, dass die Männer um ihn herum seinen Zustand bemerkt hatten. Sofort waren die Medicos gerufen worden; sie hatten ihm das Herz abgehört und den Puls überprüft und waren sehr besorgt gewesen.
Ruhe , hatten sie so streng zu ihm gesagt, wie sie es sich getraut hatten. Ihr müsst Euch ausruhen, damit Ihr wieder zu Kräften kommt. Ihr habt Euch zu sehr gefordert .
Wenn er sich bloß die Zeit zum Ausruhen leisten könnte, dachte Glaub. Er musste die Verteidigung organisieren, bevor sich die Mhannier wieder in Gang setzten. Da die Reserven aus Al-Khos zu spät für eine Rettung Tumes eingetroffen waren, hatten sie sich nördlich des Simmersees an der Mündung des Soog eingegraben und hofften nun, einen Angriff auf ihre Linien abwehren zu können. Der Hauptteil der Reichsarmee würde aber weiter nach Süden und in Richtung Bar-Khos ziehen. Sie würde versuchen, die Barriere des Windrausches zu vermeiden, und das bedeutete, dass sie hierher nach Junos Fähre kommen würde, und zwar bald.
In der Zwischenzeit musste die Verteidigungsanlage des Schildes mit allen Männern aufgestockt werden, die er anderswo entbehren konnte.
Und dann war da noch die Sache mit den Michinè.
Glaub spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufrichteten, als er an diese angemalten Adligen dachte. Ihr Streit hatte ihm den Verlust von Tume und den Tod seiner Männer eingebracht. Zumindest war dies die Schuld des Principari von Al-Khos und zweifellos auch die seines Bruders Sinese, des Verteidigungsministers, der sich noch vor kurzer Zeit so sehr über die Macht aufgeregt hatte, die das Kriegsrecht Glaub verlieh.
Bei ihnen würde er anfangen, dachte er. Er besaß inzwischen die Macht, jeden auf Khos wegen Hochverrats verhaften zu lassen. Er konnte eine Schwadron in die Gemächer des Verteidigungsministers schicken und ihn mit Gewalt abführen lassen, falls es nötig sein sollte. Der Rest von ihnen sollte ruhig einen Wutanfall bekommen, während ihr vielgepriesener Kamerad in einer Zelle verrottete und ihm sowie seinem Bruder und allen, die ebenfalls für die Verspätung der Reservetruppen verantwortlich waren, der Prozess gemacht wurde.
Jetzt war die Zeit der Abrechnung gekommen.
Sein Herz schlug schnell; eine Spannung kroch über seinen Körper, wie es schon in der vergangenen Nacht der Fall gewesen war.
Ganz ruhig , sagte er zu sich selbst und atmete seine ganze Wut aus. Mach das Beste aus dieser Ruhe, solange es noch geht. Die Ärzte haben Recht, und du weißt es. Du beanspruchst dich zu sehr .
Es war eine Wahrheit, an die er sich bisweilen erinnern musste: Er war nur ein Mensch.
Früher hätte er es als seltsam empfunden, sich das sagen zu müssen, doch jetzt war Glaub der berühmte Protektor von Khos – ein Mann so stark wie ein Bär; der General, der seit fast einem Jahrzehnt breitbeinig auf dem Lansweg stand und mit den Mhanniern um jeden Zoll Boden kämpfte. Da war es nur natürlich, dass er seinem eigenen Ruf erlag, wo doch jedermann auf der Straße ihn mit Ehrfurcht behandelte.
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