Im Auftrag der Rache
erfährt, was geschehen ist, als auch hier in der Flotte, wenn seine Männer davon Wind bekommen. Ein Drittel der Expeditionsflotte könnte sich gegen uns wenden.«
Sascheen kratzte mit den Fingernägeln über die Enden ihrer Armlehnen.
»Ich werde diese Worte nicht vergessen«, sagte sie harsch. »Ich werde niemals vergessen, was er mir über meinen Sohn ins Gesicht gesagt hat.«
*
In der vollkommenen Finsternis huschten die Ratten um ihn herum. Asch beachtete die Kreaturen nicht; seine Ohren lauschten auf irgendwelche Laute von oben. Jeder Schritt dort war eine Geschichte, die er nicht kannte.
Es war sein einundzwanzigster Tag in dieser stinkenden Bilge, zumindest nach seiner eigenen groben Zeitrechnung. Vor einer Stunde hatte er das donnernde Werfen des Ankers gehört und das Zittern in den Planken des Schiffskörpers gespürt. Sofort hatte er den Drang verspürt, aus seinem Loch zu klettern und durch das ganze Schiff zum Oberdeck zu laufen, damit er sehen konnte, wo die Flotte ankerte und ob er unbemerkt das Schiff verlassen konnte.
Aber er bekämpfte dieses Verlangen. Er wusste, dass er warten musste, bis das Schweigen der Mannschaft den Anbruch der Nacht ankündigte; erst dann durfte er sich hinausstehlen und einen Blick wagen.
Tief in der Nacht, als tatsächlich alles über ihm still war, entschied Asch endlich, dass es nun sicher genug war, nach oben zu schleichen. Vollständig angezogen und mit seinem Schwert in der Hand verließ er die Bilge so leise wie möglich und bewegte sich vorsichtig durch die Eingeweide des Schiffes.
Das Wetterdeck war für ihn der gefährlichste Ort. Asch duckte sich tief, als er es endlich erreicht hatte, und hielt Ausschau nach den Matrosen, die auf Vor- und Achterdeck Nachtwache schoben. Er atmete tief die frische Luft ein und hätte fast vor Lust laut aufgestöhnt. Die Wolken verdeckten die meisten Sterne, aber ein kleines Licht schimmerte auf den Masten und den aufgerollten Segeln.
Er schaute sich um und betrachtete die Lichter einer Hafenstadt, die zwischen den Masten der Flotte hindurchschienen. Als er zur Seeseite blickte, riss er vor Erstaunen die Augen auf. Er starrte den gewaltigen Bogen an, der sich über die Hafeneinfahrt wölbte, und wunderte sich über die Wolken aus kaum sichtbaren Tröpfchen, die darunter wogten.
Sofort erkannte Asch den Oreos und wusste, dass sie in Chir waren, auf Lagos, der Insel der Toten. Khos also. Es gab nur einen einzigen Grund für die Invasionsflotte, so weit westlich zu sein, falls sie nicht einen kühnen Krieg gegen die Alhazii planten und dabei den Verlust ihrer Vorräte an Schwarzpulver riskierten. Nein, sie hielten hier an, um Vorräte und Personen aufzunehmen und dann weiter zu Nicos Heimat zu segeln – zur Mutter des Jungen und zu seinem Volk.
Asch senkte den Kopf und bewegte sich lange Zeit nicht.
Kapitel elf
Das alte Land
Das Schiff pflügte wieder durch schweres Wetter. Bilgenwasser schwappte um seine Beine, während es von einer Schiffswand zur anderen lief und dabei die Ratten über ihn huschten, und die Planken knarrten und knallten.
Asch lag in der Finsternis jenseits von Raum und Zeit. In seinem Kopf bildeten sich Worte, als ob sie laut ausgesprochen würden.
Er hatte eine Unterredung mit seinem toten Lehrling.
Das verstehe ich nicht , beharrte Nico. Ihr habt mir einmal gesagt, dass die R o ¯ schun nicht an persönliche Rache glauben. Dass sie gegen ihren Kodex verstößt .
Ja, Nico, das habe ich gesagt.
Dennoch seid Ihr jetzt hier.
Dennoch bin ich jetzt hier.
Seid Ihr denn kein R o ¯ schun mehr?
Er schreckte vor einer Antwort zurück. Gerade jetzt wollte er nicht darüber nachdenken.
Ihr könnt mich nicht zurückholen , sagte Nico. Selbst wenn Ihr sie umbringt, werde ich dadurch nicht wieder lebendig .
»Das weiß ich, Junge«, erwiderte Asch laut. Die Worte hallten in der Schwärze wider, und die Ratten huschten von ihm herunter.
Nico schwieg eine Weile. Asch schaukelte im Einklang mit den heftigen Bewegungen des Schiffes, stützte sich mit Händen und Füßen ab und versuchte sich zu beruhigen.
Sagt mir, Meister Asch , ertönte Nicos Stimme erneut, was habt Ihr gemacht, bevor Ihr zum R o ¯ schun wurdet?
Was ich gemacht habe?
Ja.
Ich war Soldat. Revolutionär.
Wolltet Ihr nie einen anderen Weg einschlagen? Vielleicht Bauer werden? Oder der immer betrunkene Inhaber einer Dorfkneipe?
Natürlich , antwortete Asch.
Was denn von beidem?
Ich bin müde, Nico. Du stellst zu viele Fragen.
Nur
Weitere Kostenlose Bücher