Im Auftrag der Rache
Rest der Flotte dichter zu ihnen aufschloss. Weiße Klippen erhoben sich an der Küste, und die grünen Hänge waren über und über mit grauen Flecken bedeckt, bei denen es sich um die berühmten lagosischen Langhaarziegen handelte.
Es hatte den Anschein, als ob sich jede einzelne der tausend Seelen an Bord des Flaggschiffes nun entlang der Reling drängte. Ché beobachtete die Matriarchin, die auf dem Vordeck stand und von ihren beiden Generälen sowie deren Gefolge flankiert wurde.
Er sah sich das Trio eingehend an und fragte sich, was sie wohl beim Anblick von Lagos empfanden, jener Insel der Rebellion, deren Bevölkerung fast vollständig verbrannt worden war. Die Sechste Armee, die noch dort stationiert war und nun zu einem Teil des Expeditionskorps werden sollte, war damals von General Sparus befehligt worden, als sie die Rebellion endgültig niedergeschlagen hatte. Und es war Sascheen persönlich gewesen, die den Befehl gegeben hatte, den größten Teil der Einwohner als Rache für ihre Unterstützung der Rebellen zu töten, auch wenn dagegen viele Proteste aus dem Orden gekommen waren, da auf diese Weise eine große Anzahl möglicher Sklaven verlorenging.
Durch ihre Tat hatte die Matriarchin der Weltgeschichte ihren Stempel aufgedrückt. Dieser Völkermord würde niemals vergessen werden.
Doch nun, da sie Lagos zum ersten Mal sah, zeigte Sascheen nichts als steife Förmlichkeit, während sie an der Reling stand. Die um sie herum versammelten Priester ihres Gefolges schienen hingegen stolz darauf zu sein, dieses höchst kostbare Besitztum wiedererlangt zu haben.
In Q’os waren die Zeitungsblätter voller Geschichten über die Befriedung der Insel gewesen, die nun Einwanderern aus allen Teilen des Reiches offen stand. Das wahre Ausmaß des Mordes an den Lagosiern war heruntergespielt worden; sie selbst wurden für die Verbrennungen und Vertreibungen verantwortlich gemacht, und es wurde immer wieder auf die Anfänge der Rebellion hingewiesen, die als Protest der lagosischen Adligen begonnen hatte, weil sie den Verlust ihrer verpachteten Ländereien an die neuen mhannischen Herren nicht hatten hinnehmen wollen.
Nur ein einziges Detail verriet Sascheens inneren Zustand. Neben sich hatte sie Lucians lebenden Kopf auf die Reling gestellt. Es war das erste Mal, dass sie ihn auf eine solche Weise öffentlich zeigte. Die Matriarchin hatte die Hand auf den Scheitel des Kopfes gelegt und ihn auf die Insel ausgerichtet, damit der Anführer der Rebellion in unergründlichem Schweigen auf seine verwüstete Heimat schauen konnte.
*
Hörner erschallten von den vordersten Schiffen der Flotte. Endlich näherten sie sich dem Hafen von Chir, einem der größten Wunder der bekannten Welt. Als sie eine felsige Landzunge umrundet hatten, starrte Ché mit offenem Mund den legendären Oreos an, der sich unglaublich hoch vor ihm erhob – jener gewaltige Bogen, der den natürlichen Hafeneingang von Chir überspannte und unter dem Dunstschleier dahinzogen.
Die Stadt Chir, die einst durch den Handel mit Wolle und gesalzenem Fleisch reich geworden und der frühere Hauptsitz der lagosischen Zivilisation gewesen war, erstreckte sich um eine felsige Bucht herum, die den größten natürlichen Hafen des Midèr e ¯ s bildete. Die Stadt hatte den Oreos als Bezeugung der eigenen Größe vor der ganzen Welt errichtet. Er bestand aus Schmiedeeisen und glich einer gebogenen Klinge, die mit der flachen Seite den Wind entzweischnitt und in einem strahlenden Weiß unter dem Himmel erglänzte, der sich allmählich auflockerte und die Sonne durchließ.
Er war nie zuvor nach Lagos oder zu der Hafenstadt Chir gereist, auch wenn er viel darüber und über das Meisterwerk der Ingenieurskunst gelesen hatte, auf das er nun starrte. Der Dunst wurde durch Meerwasser erzeugt, das durch die Bewegung der Wellen in den Bogen gepumpt wurde, durch zahllose Düsen an der Unterseite wieder austrat und so eine sehr feine und zarte Gischt erzeugte.
An manchen Tagen waren Farbstreifen im Bogen des Oreos zu sehen, sechs oder gar sieben Regenbögen, die sich durch die Gischt bogen oder von der Wasseroberfläche widergespiegelt wurden. Das Volk von Lagos nannte es stolz den Regenbogenfänger – zumindest hatte es den Bogen so genannt, als es noch hier gelebt hatte.
Ché sah jetzt eines dieser Bänder aus strahlenden Farben, das sich wie ein zweiter Bogen spannte, und dahinter die von den Farben betupfte Stadt, die sich um den Hafen erhob, in dem bereits
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