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Im Auftrag der Rache

Im Auftrag der Rache

Titel: Im Auftrag der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Col Buchanan
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Gläubige wuschen sich ihre Sünden in dem rauschenden Fluss ab.
    Im Gegensatz dazu war die Ostseite ein Ort baufälliger, verräucherter Tavernen, Läden von Zel- und Wagenhändlern, Unterkünften für Kaufleute und Reisende – kurz, ein Ort des Handels. Hier am Ostufer hatte die khosische Armee die Nacht verbracht und sich am Rande der Siedlung niedergelassen. Die flachbauchigen Fähren brachten auch in der Dunkelheit noch Männer und Ausrüstung ans andere Ufer.
    Wie viele der anderen Soldaten stand Bull nackt im hüfthohen Wasser. Seine Füße steckten in einer kleinen Sandbank, während er sich wusch. Überall um ihn stöhnten die Männer unter der Kälte, auch wenn das Wasser kaum so kalt war, wie es eigentlich hätte sein sollen. Einige Mönche der Armee wuschen sich still etwas abseits; es waren die schweigenden Wolkenmänner des Dao, die sie im Namen des Großen Narren segnen würden, bevor sie in die Schlacht zogen. Bull warf sich eine Handvoll Wasser gegen die nackte Brust und sah zu, wie es in winzigen blauen Funken von ihm abperlte. Wo immer es auf die langsam fließende Oberfläche traf, brannte es in demselben geisterhaften Licht, bevor es allmählich verblasste. Das waren die seltsamen Auswirkungen der Tränen von Calhalee, der legendenhaften Gestalt des Simmersees im Norden, aus dem dieses Wasser nicht nur die Wärme, sondern auch seine bezaubernden, unheimlichen Eigenschaften bezog.
    Er hatte schon einmal in diesem Fluss gestanden – als Junge. Damals hatte ihn sein Vater zusammen mit seinem jüngeren Bruder hierher gebracht, weil es seine Mutter so gewollt hatte. Damals wie heute fühlte sich Bull durch das reinigende Wasser des heiligen Flusses belebt und erfrischt, aber nicht mehr. Vielleicht war das Gerede über seine geistigen Eigenschaften Unsinn, oder das, was seinen Geist befleckte, steckte so tief in ihm, dass es mit dem wenigen Glauben, den er besaß, nicht abgewaschen werden konnte.
    Im Norden, auf der anderen Seite des Flusses, war der Wald als eine Mauer aus Bäumen zu erkennen, die schwarz und still unter den Sternen stand. Lautes Klopfen drang aus dem Wald herbei, als ob riesenhafte Vögel Löcher in die Stämme hackten. Das waren die Alarmsignale der Contrarè, der freigeistigen Jäger und Sammler sowie der gelegentlichen Briganten des Waldes. Bull stellte sich vor, wie sie mit ihren Ziegengesichtern und ihren Kleidern aus Borke zwischen den Stämmen standen und sie vorsichtig beobachteten.
    Seine Mutter war eine Contrarè gewesen, bevor sie seinen Vater, einen Lederhändler aus Bar-Khos, geheiratet hatte und mit ihm in die Stadt gezogen war, um dort eine Familie zu gründen. Bull wusste nur wenig von ihrem Volk außer den Geschichten, die sie ihm vor dem Schlafengehen erzählt hatte, und den Liedern, die sie ihm beim Baden vorgesungen sowie den kleinen abergläubischen Legenden, die sie von ihrem früheren Leben im Wald mitgebracht hatte, wie zum Beispiel das Zeichen des Schutzes, das sie machte, wenn es blitzte und donnerte. In seinem Akzent war hingegen noch immer die Stimme seiner Mutter zu erkennen, seine Haut war besonders dunkel, und die Augen über den hohen Wangenknochen standen eng zusammen. In seiner Kinderzeit hatten die Menschen genau gewusst, was er war – ein Borkenschläger –, und viele hatten ihn deshalb wie einen Hund behandelt.
    Er wurde deutlich an jene harten, schmerzlichen Tage der Kindheit erinnert, als er sich umdrehte und bemerkte, dass die Soldaten den Abschnitt der Strömung mieden, der von ihm wegtrieb. Diesmal lag es aber nicht daran, dass er ein dreckiger Borkenschläger war. Diesmal war es, weil er der Schlächter war – der Mörder ihres Helden Adrianos.
    Bull war das egal, oder zumindest sagte er sich das. Seit früher Jugend hatte er sich gegen die Scherze und grausame Gleichgültigkeit der anderen Kinder gewehrt. Er hatte mit allen Mitteln darum gekämpft, die Anerkennung dieser Khosier zu erringen, zuerst als Straßenkämpfer und dann als Soldat in der Roten Garde. Jetzt sahen sie wenigstens nicht mehr auf ihn herunter. Jetzt fürchteten sie ihn.
    Außerdem war er endlich frei, und mehr wollte Bull nicht. In dieser unterirdischen Zelle hätte er fast den Verstand verloren. Aber jetzt war er hier und stand bis zur Hüfte im Chilos, während die Sterne auf seiner Oberfläche hüpften, Calhalees Tränen überall um ihn herum glühten und der Duft des tiefen Waldes kräftig die Nachtluft durchdrang. Falls das die letzten Tage seines Lebens sein

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