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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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wusste früh, was kommen würde. Er wusste, wir würden eines Tages bitter dafür bezahlen müssen, dass wir uns in den Jahren vor und während des Krieges mehr oder weniger offiziell ans Reich anlehnten. In seinem Buch finden Sie den Satz, aus diesem Grund habe der Todesmarsch des Deutschtums im Südostraum Europas begonnen, und er ...« Eisenstein hielt abrupt inne, als in den Tiefen ihrer Tasche Erik Satie erklang.
    »Und er?«
    »Und er behielt Recht.«
    Sie nickte, entschuldigte sich, griff nach dem Handy. Jenny Böhm, die sagte, bei mir alles in Ordnung, und bei dir? Sie wollte sprechen, über den »Mann mit dem Psalm«, was ist das für einer, wieso wartet der vor deinem Haus, erzähl doch, Louise, ich liege im Hotel im Bett, mache mir Sorgen um dich. Louise verschob die Antworten auf später und beendete das Gespräch rasch.
    Jenny Böhms Anruf hatte die Unruhe zurückgebracht, die Fragen. Wo war er, was hatte er vor?
    Die Frau, die Tochter. Würde er wirklich so weit gehen?
    Eisensteins Blick lag auf ihr, sie wussten beide, dass sie über Lončar reden mussten, dass eigentlich keine Zeit war für ein gemütliches Gespräch über die Geschichte eines winzigen Dorfes in einem vergessenen Winkel deutscher Südostbesiedelung.
    Sie stand auf, trat ans Fenster. Ein kleiner, gepflegter Garten, Chrysanthemen in allen Farben, dahinter Wald. Der Nebel schien sich zu lichten, der Regen nachzulassen. War Lončar in ihrer Wohnung gewesen? War er Jenny Böhm gefolgt? War das vielleicht der Plan – eine unbeteiligte Geisel nehmen?
    Oder war er schon in Au?
    Sie musste hier weg, sie musste zu den Niemanns.
    Sie wandte sich um. »Ich muss weg.«
    Andreas Eisenstein nickte, wartete, dass sie weitersprach. Sie sah ihm die Erschöpfung an, sah, dass er sich nicht anmerken lassen wollte,
wie
erschöpft er war, ein Vierundneunzigjähriger, der an einem Oktobernachmittag von einem Überfallkommando heimgesucht worden war und nun mit der eigenen leidvollen Vergangenheit konfrontiert wurde.
    Sie lehnte sich gegen das Fenstersims, verschränkte die Arme, zwang sich zur Ruhe.
    Mats war in Au, andere waren in Au. Au war eine Festung.
    »Wir müssen über Antun sprechen. Über Heinrich.«
    Andreas Eisenstein nickte erneut, beugte sich plötzlich vor und flüsterte: »Was hat er getan? Womit ist er noch nicht am Ende?«
    Sie kehrte zum Sofa zurück. Ein schrecklicher Gedanke, Eisenstein von Biljana und Snježana erzählen zu müssen, von Antun Lončars Besuchen bei den Niemanns, dem Brand, dass es noch nicht vorbei war, dass er vermutlich Paul Niemann die Frau und die Tochter nehmen wollte.
    »Später«, sagte sie.
    »Ist es denn so schlimm?«
    »Ja. Was mit ihm passiert ist, was er vorhat.«
    »Dann bin ich froh, dass ich noch ein paar Minuten habe, in denen ich es nicht weiß.«
    »Erzählen Sie mir von der Umsiedlung.«
    »Die Umsiedlung.« Eisenstein spreizte die Hände, als wollte er sich für die Tränen entschuldigen, die ihm jetzt wieder in den Augen standen. »Der Tag des Abschieds von der Heimat.«
    »Aber warum? Warum mussten Sie Schutzberg verlassen?«
    »Die Überfälle der serbischen Mörder in Bosnien nahmen 1941 und 1942 weiter zu, die Situation wurde immer prekärer. Wir wurden beschossen, konnten nicht mehr auf die Felder im Tal, ohne um unser Leben bangen zu müssen. Die Kroaten standen uns sehr distanziert gegenüber, weil sie aufgrund der politischen und militärischen Situation nicht die Herren im eigenen Haus waren, doch sie konnten nicht, wie sie vielleicht gewollt hätten. Dafür taten sie den serbischen Zivilisten Schreckliches an. Kurz, der ›Krieg nach dem Kriege‹, wie Pfarrer Sommer diese Monate nannte, brachte immer mehr Gefahren für uns. So griff das Reich einen alten Plan auf, nämlich die Bosniendeutschen umzusiedeln, weil die Wehrmacht keinen Schutz mehr garantieren konnte, und schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe: die Volksdeutschen Bosniens in Sicherheit zu bringen
und Teile des eroberten Ostens mit Deutschen zu besiedeln. Die neue Heimat von uns Schutzbergern sollte Litzmannstadt sein.«
    »Litzmannstadt?«, fragte Louise, während sie nach dem Wasserglas griff.
    »Lodz.«
    Sie hielt in der Bewegung inne. »Polen? Die haben die Bosniendeutschen nach
Polen
geschickt?«
    »Man brauchte Deutsche im Osten.« Eisenstein zuckte die Achseln. »Politik. Alle großen Migrationsströme sind menschenverachtender Politik geschuldet.«
    Louise schüttelte den Kopf, trank, setzte das Glas ab, Polen, das

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