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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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halbverfallenes deutsches Haus, das Dach teilweise eingestürzt, die Fenster ohne Scheiben, keine Türen, der Verputz über den größten Teil der Mauern abgeblättert. Kein Zaun, Hof und Laubengang von hohem Gras überwuchert, aus den Rundbögen zwischen den Pfeilern waren Steine herausgebrochen. Hier hatte Lončar erst mit Andreas Eisenstein und seinem Onkel Christian gelebt, später allein mit Christian, dann mit Biljana und Snježana, bis die Familie 1992 nach Bosnien gezogen war. Zwölf Jahre, und das Haus war unbewohnbar, doch sie wussten nicht, wie es vorher ausgesehen hatte, wann es gebaut, ob es jemals renoviert worden war. Ob im Krieg der Neunziger Bomben ins Dach eingeschlagen waren.
    »Fahren wir«, sagte sie.
    »Wohin? Osijek oder gleich nach Štrpci?«
    Sie dachte einen Moment nach, entschied sich dann für Osijek, obwohl es von Poreč nach Štrpci nicht mehr so weit gewesen wäre. Valpovo und Poreč an einem Tag, das war ein bisschen viel gewesen. Sie brauchte jetzt ein Café an der
Drau, ein Restaurant auf einem Schiff, einen Ort weitgehend ohne Antun Lončar und dessen Vergangenheit. Ein harmloser Abend mit Ben Liebermann, mochten die Moleküle auch wieder springen.
    Reden, reden, reden, damit es sich leichter warten ließ auf die Zeit nach Antun Lončar.

27
    BEN LIEBERMANN HATTE SIE VORGEWARNT , und doch war es ein Schock. Ein paar Kilometer nach der kroatischbosnischen Grenze die ersten ausgebombten, verbrannten, eingestürzten Gebäude neben der Landstraße, schwarze Grasflächen, verkohlte Bäume, nur vereinzelt neue Häuser, manche grellbunt, als sollten sie den Anblick der Zerstörung auf diese Weise abmildern. Die bosnische Republika Srpska, einer der Hauptschauplätze des Krieges. Zu wenig Geld, um die Kriegsschäden zu beseitigen, sagte Ben Liebermann, vielleicht auch zu wenig Lust, was hier geschieht, weiß man nicht so recht. Eine Stunde Fahrt durch ein noch immer versehrtes Land, kleine, triste Dörfer, eine größere Stadt, dann rechterhand ein langgestreckter See, eine Abzweigung nach links auf einen Hügel hinauf, ein Hinweisschild: Štrpci.
     
    Ein paar Meter hinter der Abzweigung hielt Louise an. Zu viele Gedanken und Gefühle, um sich aufs Fahren zu konzentrieren.
    Štrpci, Schutzberg der Anfang. Carola, Carolas Hand, ihr lautloser Tod, das Ende. Dazwischen ein Leben in den Kriegen des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Oben auf dem Kamm stand ein strahlendweißes Kirchlein, eingebettet in winterkahle Hügel mit Wiesen, Wäldern, abgeernteten Feldern. Dort oben auf dem Dornenberg
hatte alles begonnen, dort war Antun Lončar als Heinrich Schwarzer geboren worden.
    Dort würde nun alles auch ein Ende finden.
    Štrpci-Schutzberg, die letzte Station ihrer merkwürdigen Reise.
     
    Auf halber Strecke hinauf wurde Ben Liebermann unruhig. »Fahr zur Kirche«, sagte er. »Wir fangen mit dem Pfarrer an.«
    Sie nickte.
    »Dann der Bürgermeister, dann sehen wir weiter, okay?«
    »Okay.«
    Sie dachte, dass sie jetzt gern allein wäre. Ben Liebermann brachte einen Rhythmus mit, einen Weg, die nicht die ihren waren. Wie schon in Valpovo hatte sie das Gefühl, dass er nicht hierher gehörte.
    Wie schon Valpovo musste sie Štrpci mit sich allein ausmachen.
    Lončar.
    Doch Ben Liebermann war hier. Sie hatte ihn mitgenommen, sie konnte ihn nicht fortschicken.
    Sie sah, dass er sich vorbeugte, unter den Sitz griff. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er zwei Pistolen in der Hand. Sorgfältig entfernte er weiße Klebestreifen, wischte die Waffen mit einem Taschentuch sauber, überprüfte Magazin und Abzug.
    »Ich brauche sie nicht, Ben.«
    Er zuckte die Achseln, schob die jugoslawische Tokarew in das Handschuhfach. »Falls du es dir anders überlegst.«
    Sie nickte. »Und du ...«
    »Und ich?«
    Sie sahen sich kurz an.
    »Du bist hier, um zu übersetzen, Ben. Mehr musst du nicht tun.«
    »Ja«, sagte Ben Liebermann.
    »Mehr kannst du nicht tun.«
    »Ja.«
    »Was soll das heißen, ›ja‹?«
    »Dass es zu spät ist.«
    »Wofür?«
    »Ich glaube, das weißt du.«
    Sie schwieg. Die Sache mit den Molekülen. Was da vom Breisgau so alles nach Osijek kam. Zu spät für Ben Liebermann, um
nicht
mehr zu tun, als nur zu übersetzen.
    Sie lächelte flüchtig. Ein Mann, der sich bereitwillig in ihren Abgrund stürzte.
    Aber vielleicht war es ja auch der eigene.
     
    Štrpci vermittelte einen anderen Eindruck als die Dörfer, durch die sie gekommen waren. Sie sah nur wenige zerstörte oder verfallende Gebäude,

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