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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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dem Gefühle bis in die Haut hinein zu spüren waren. Ganz sicher auch nicht bei Mick, da war sie einfach dumm und verunsichert gewesen, 1994 , hatte sich eingeredet, dass sie womöglich mit ihrem Drang nach Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Unkonventionalität auf dem falschen Weg war, hatte sich in ein paar schwachen Momenten vor den eigenen Abgründen retten lassen wollen, ein böser Fehler. Und vorher ...
    Sie spürte, dass Ben Liebermann sie ansah.
    »Reden wir«, sagte er.
    Sie nickte. Reden, damit sich die Moleküle beruhigten.
    »Lončar«, sagte Ben Liebermann. »Und wenn er ganz woanders ist?«
    »Wo zum Beispiel?«
    »In Deutschland.«
    »Weil es noch nicht zu Ende ist?«
    »Könnte doch sein, dass er auch Paul Niemann töten will.«
    »Dann hätte er es längst getan.«
    Ganz abgesehen davon, dachte sie, dass Lončar für Monate nicht an ihn herankommen würde.
    Paul Niemann war wieder in München – in einer psychiatrischen Klinik, wegen des Schocks und schwerer Depressionen.
    Als kranker Mann war er in seine Heimat zurückgekehrt.
     
    Halb zwei, die Ebene von Požega,
Požega kotlina,
»Kessel«. Kleine Dörfer, viel Grün, in der Ferne die Hügelketten, an denen das Tal im Süden endete. Da oben Kutjevo, sagte Ben Liebermann, ein sehenswertes Kloster, herrliche Weine, da hinten Požega mit mittelalterlichen Kirchen, viel Barock, Laubengänge im Zentrum, eine wirklich schöne Stadt, und da drüben ...
    Reden, damit sich die Moleküle beruhigten.
     
    Gegen drei hatten sie Poreč erreicht, das noch kleiner war als all die anderen kleinen Straßendörfer, die sie an diesem Tag durchquert hatten, eine Handvoll Häuser nur, zu beiden Seiten der schmalen Durchgangsstraße, zurückgezogen hinter breiten Grasstreifen, kahlen Bäumen liegend, löchrige Bretterzäune dazwischen. Eine alte Frau vor einem donauschwäbischen Haus, die sie beobachtete, während sie langsam vorbeifuhren, ein alter Mann gegenüber, sonst war niemand zu sehen. Was ihr als Erstes auffiel, noch bevor sie überhaupt ausgestiegen waren: ein Ort vollkommener Stille und Reglosigkeit.
    »Und jetzt?«, fragte Ben Liebermann, als sie am letzten Haus vorbeigekommen waren.
    »Fragen wir nach ihm.«
    »Zu gefährlich, Louise. Wenn er hier ist ...«
    »Wenn es dir zu gefährlich ist, bleib im Auto, Ben.«
    »Und wer übersetzt für dich?«
    »Also, dann komm.«
    Sie stiegen aus, gingen langsam die Straße zurück, Ben Liebermann mit Blick nach links, sie mit Blick nach rechts.
Sie wusste, dass er sich ärgerte, weil er sie leichtsinnig fand und nicht begriff, was sie da tat. Wer einen Mörder suchte, zeigte sich nicht offen auf der Straße.
    Nur wer sich finden lassen wollte.
    Aber vielleicht hatte er das ja begriffen.
     
    Der alte Mann schüttelte den Kopf und schwieg, die alte Frau erinnerte sich und sprach, ja, eine Familie mit Namen Lončar, Vater, Mutter, Tochter, irgendwann vor ein paar Jahren waren sie verschwunden und nie zurückgekehrt, das Haus stand leer und verfiel, das Haus da hinten, das Haus von Antun, Biljana, Snježana, die beide in Poreč aufgewachsen waren. Dann war da auch ein Onkel gewesen, Igor, ein kleiner, trauriger Mann, der war vor langer Zeit gestorben und lag auf dem Friedhof an der Straße Richtung Kula. Und noch ein Mann war da gewesen, ein großer, schmaler Mann, mit dem waren der Onkel und Antun gekommen, kurz nach dem Krieg, als viele gekommen und gegangen waren in Poreč.
    Louise half, Davor Vejnović, aber an diesen Namen erinnerte sich die Frau nicht.
    »Frag sie, ob Lončar allein nochmal hier war.«
    Ben Liebermann fragte, die Frau antwortete.
    »Nein.«
    »Wie kann sie das wissen?«
    »Louise, hier kennt jeder jeden, weiß jeder alles.«
    »Frag sie, ob sie jemals wieder etwas von ihm gehört hat. Ob sie gehört hat, wo er hingegangen ist.«
    »Hat sie schon gesagt: nein.«
    »Verdammt.«
    Ben Liebermann schwieg.
    »Sehen wir uns das Haus an.«
    Ben Liebermann sprach mit der alten Frau, die etwas erwiderte. »Aber wir können nicht rein. Niemand hat jemals nachgesehen, ob Minen darin sind.«
    »Serbische Minen?«
    Ben Liebermann zuckte die Achseln. »Oder kroatische. Seine Frau war kroatische Serbin, oder?«
    Sie nickte schweigend. Da war er wieder, der andere Antun Lončar. Der wohl Biljanas wegen nicht in den Krieg zurückgekehrt, sondern mit seiner Familie nach Štrpci gegangen war, um sie in Sicherheit zu bringen. Der Antun Lončar, mit dem sie Mitleid empfand, weil er so viel verloren hatte.
     
    Ein

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