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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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aufpassen müssen.
    Dann dachte sie an das Haus aus Holz und Glas und versuchte sich vorzustellen, wie es dort gewesen sein mochte, an einem sonnigen Tag wie diesem. Im hellen Licht schwebte Staub, überall Wärme, Stille, Gelassenheit, ein
Leben in Geborgenheit, obwohl sie wusste, dass die Niemanns ein solches Leben in Freiburg nie geführt hatten.
    Sie wusste nicht, weshalb sie so oft an das Haus aus Holz und Glas dachte, an die Niemanns, vielleicht, weil beide für das Leben standen, das sie nicht führen wollte, ein Leben mit Kindern, mit Mann, mit Zäunen, die verhinderten, dass man in einen Abgrund rannte. Wenn man ein bisschen asymmetrisch war, ging das eben nicht, ein solches Leben. Wenn man ganz bei sich selbst sein wollte.
    Und dann traf man eine Frau wie Henriette Niemann und eine Tochter wie Carola und dachte, dass man selbst gern eine solche Tochter gehabt hätte,
nur
eine solche, keine andere, eine mit wilden roten Haaren, einem Panzer aus Stacheln, mit dunklen, klugen, wütenden, traurigen Augen. Dass man mit einer solchen Tochter vielleicht hätte glücklich werden können, ganz ohne Abgründe und Ahnungen und all die aufreibenden Aktionen à la Louise Bonì.
    Ist es ganz weg?, sagte Carolas Stimme in ihrem Kopf. Ist alles weg?
    Eine Tochter, die nicht hinsehen konnte und am nächsten Morgen einkaufen ging und versuchte, das eigene Leben und das ihrer Familie wieder in den Griff zu bekommen.
    »Nicht dass du denkst, ich hätte was gegen Ahnungen«, sagte Mats Benedikt.
    »Okay.«
    »Ich habe nichts gegen Ahnungen.«
    »Okay.«
    »Ahnungen«, sagte Mats Benedikt ein wenig sehnsüchtig.
    Louise sah ihn an und wartete. Sie standen an einer Ampel,
fuhren weiter. Mats Benedikt schwieg. »Okay«, sagte Louise und wandte sich ab.
    »Ich habe so etwas nicht.«
    »Ahnungen?«
    »Ja.«
    »Du kannst es auch Gefühle nennen.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich habe so etwas nicht.«
    »Gefühle?«
    Wieder ein Achselzucken.
    »Wie, du hast keine Gefühle?«
    Mats Benedikt schwieg.
    Was für ein merkwürdiges Gespräch, dachte sie.
    »Tja«, sagte Mats Benedikt.
    »Das ist ein merkwürdiges Gespräch.«
    Sie sahen sich an, lachten.
    »Ich sehe das so«, sagte Mats Benedikt. Da, wo bei anderen Menschen die Gefühle waren – im Kopf, im Herzen, wo auch immer –, da waren bei ihm ... Er zögerte.
    »Ja?«
    »Dinge.«
    »Dinge?«
    »Eingewickelte Dinge. Wie kleine, dunkle, unförmige Geschenke.«
    »Und du hast keine Lust, sie auszupacken.«
    »Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte.«
    Louise musste schmunzeln. Die Traurigkeit von vorhin war noch da, der Anblick des zerstörten Hauses aus Holz und Glas, Carolas Stimme am frühen Morgen, doch das Gespräch mit Mats Benedikt half. »Fang mit dem Tesafilm an.«
    »Ja«, sagte Mats Benedikt lachend, »mit dem Tesafilm.«
    »Das ist wirklich ein merkwürdiges Gespräch.«
    »Ist es.«
    »Warum führen wir es?«
    »Ich wollte dir nur deutlich machen, dass ich nichts gegen Ahnungen habe«, sagte Mats Benedikt. Das Problem sei nur, dass aus Ahnungen eine Form von Wahrheit werde, wenn sie erst einmal ausgesprochen seien. Vor allem, wenn Polizisten Ahnungen äußerten. In dem Moment, wo Polizisten Dritten gegenüber Ahnungen aussprächen, würden sie für diese Menschen zu Gewissheiten. Und womöglich nicht nur für diese Menschen. Womöglich auch für die Polizisten, die sie ausgesprochen hätten. Das müsse man berücksichtigen.
    Louise nickte. Sie hatte es nicht berücksichtigt. »Soll heißen?«
    »Na ja«, sagte Mats Benedikt zögernd.
    »Dass er vielleicht wieder etwas ganz anderes tun wird.«
    Mats Benedikt nickte.
    »Ja«, sagte Louise. »Scheiße.«
    Sie schwiegen. Natürlich, Mats Benedikt hatte recht. Es mochte um Rache gehen, um die Rache des alten Kriegers an Paul Niemann, der im Sachgebiet 312 BKF anhand von ein paar Daten und Formularen und Gesetzen über das Schicksal Dutzender, Hunderter Flüchtlinge entschieden hatte – doch was bedeutete das schon? Wie konnten sie wissen, dass das Bedürfnis des alten Kriegers nach Rache darin Erfüllung finden würde, dass er Paul Niemann tötete?
    Sie
konnten
es nicht wissen.
    »Eigentlich wissen wir nur eines«, sagte Mats Benedikt.
    »Dass es noch nicht zu Ende ist.«
    »Ja.«
    Louise berührte seinen Arm. »Und das, Mats, was ist das?«
    Mats Benedikt grinste zufrieden. Ein Mann mit einer Ahnung.
     
    Am späten Vormittag saßen sie in kleiner Runde bei Alfons Hoffmann – Louise, Anne Wallmer, Mats Benedikt, Rolf

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