Im Auftrag der Väter
Bermann, der schon wieder zu Bob zitiert worden war und dem Gespräch schweigend und mit zusammengekniffenen Augen folgte, ein Mann vor der Revolte, vor einer impulsiven Entscheidung, wie Louise schlagartig klar wurde.
Sie hatten von dem Gespräch mit den Niemanns berichtet, Alfons Hoffmann von dem Gespräch mit dem Kollegen Bereiter im Münchner Polizeipräsidium, der die Unterlagen des Sachgebietes 312 BKF sicherstellen würde, aber nicht allzu erfreut geklungen hatte. Keine Zeit eigentlich, ein spektakulärer Mordfall. Ein Promi, hatte Alfons Hoffmann – der Niederbayer – zitiert, und sie hatten gelacht, München eben, die Bayern, selbst wenn es um Verbrechen ging, musste es was Besonderes sein.
Weniger lustig war, dass ihr Anliegen im Schatten der bayerischen Besonderheit liegenbleiben konnte.
»Vielleicht sollten wir hinfahren und uns selbst darum kümmern«, sagte Louise.
»Vergiss es«, knurrte Bermann.
»Hm.«
»Dafür hat Edison Telefone, Faxgeräte und E-Mails erfunden.«
»Und Scanner und pdf-Dateien«, sagte Alfons Hoffmann.
»Niemand fährt irgendwohin«, sagte Bermann.
Louise winkte ab. Männer vor der Revolte waren unzugänglich, unzumutbar, unerträglich. Sie würde fahren, natürlich, falls nicht in den nächsten ein, zwei Stunden Informationen, Nachrichten oder wenigstens ein Anruf aus München eingehen würden.
Bermanns Blick lag noch auf ihr, und sie erwiderte ihn
ruhig, ein langer, düsterer Blick, der nicht wirklich ihr zu gelten schien, sondern dem Leben an sich, den Umständen, Bob, der Zukunft, die ihm, der immer zum System gehört hatte, eine Revolte aufzwang. Aber dann schmunzelte Bermann für einen kurzen Moment, und sie spürte, dass er sich ihr nahe fühlte, näher als je zuvor. Rolf Bermann war immer ein integraler Bestandteil der Kripo Freiburg gewesen, eines der wenigen wirklich wesentlichen Rädchen im Getriebe. Nun fühlte er sich, vermutete sie, an den Rand gedrängt, und Ränder waren nun mal die bevorzugten Aufenthaltsorte der Louise Bonì.
Sie lächelte. Bermann nickte knapp.
Dann erzählte Anne Wallmer von ihrem Gespräch mit einem Historiker der Universität Freiburg über die Deutschen aus Jugoslawien, das nicht wirklich ein Gespräch gewesen sei, sondern ein Monolog, ein konfuser, dahingemurmelter, weitgehend unverständlicher Monolog, aber sie habe Material bekommen, Aufsätze, Zusammenfassungen, Bücher, und wolle sich am Nachmittag oder abends zu Hause in Ruhe einlesen und am nächsten Morgen Bericht erstatteten. Nur eines habe sie verstanden und sich merken können, dass nämlich die Deutschen aus Jugoslawien zu den sogenannten Donauschwaben gehörten, Emigranten vor allem aus dem Süden Deutschlands, die seit dem 18 . Jahrhundert zu Tausenden nach Südosteuropa gegangen seien, die meisten per Schiff auf der Donau, von Ulm aus, deshalb hießen diese Schiffe »Ulmer Schachteln«.
Bermann brummte, ihn interessiere nicht, wie irgendwelche Schiffe von irgendwelchen Leuten aus dem 18 . Jahrhundert hießen. Louise fragte, weshalb die Donauschwaben damals nach Südosteuropa gegangen seien. Bermann brummte, das interessiere ihn ebenfalls nicht. Anne Wallmer
sagte, das wiederum habe sie leider nicht so genau verstanden, sie glaube, weil österreichische Kaiser Siedler für diese Regionen angeworben hätten.
»Scheißegal«, sagte Rolf Bermann.
Alle schwiegen, sahen ihn an, bis Louise sagte, nun ist’s aber gut, und Bermann die Hände hob und sagte, dass ein Dezernatsleiter ja wohl auch mal schlechte Laune haben könne, oder etwa nicht.
»Aber nicht permanent«, erwiderte Louise sanft.
Für eine Weile sagte niemand etwas, dann sagte Alfons Hoffmann vergnügt: »Ein Promitoter.« Alle lachten, und Bermann lachte mit.
Dann gingen sie auseinander, jeder in sein Büro, mit einem weiteren Stapel Kopien, und begannen zu warten, auf Informationen vom Kollegen Bereiter aus München, aus Lahr, wo städtische Angestellte in den Datenbanken des Einwohnermeldeamtes nach Bürgern suchten, die im ehemaligen Jugoslawien geboren worden waren, auf die Ergebnisse der DNA -Untersuchungen, auf die Berichte der Kriminaltechniker – und nicht zuletzt auf einen wenig wahrscheinlichen Fahndungserfolg. Louise legte den Stapel auf den Schreibtisch, dann rief sie die verschiedenen Telefonnummern durch, die sie von Jenny Böhm hatte, erfuhr, dass sich die Erkältung verschlimmert habe, sprach auf zwei Anrufbeantworter, Frau Böhm, Frau Bonì macht sich nun langsam wirklich
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