Im Auftrag des Tigers
nicht.«
»Hat es mit deinem Vater zu tun?«
Sie setzte sich. »Was weißt du von ihm?«
»Nichts. Daß er tot ist.«
»Tot? Er ist nicht tot.«
»Gut. Vermißt. Seit fünf Jahren.«
»Das hast du von Judy.«
»Ja.«
Sie pflückte wieder eine Beere aus der Traube und ließ sie in der Hand rollen.
»Alles hat mit ihm zu tun«, sagte sie. »Alles, was ich denke, was ich tue. Das ist es ja. Auch alles, was ich erreiche. Und jeder Unsinn, den ich anstelle.«
Sie schwieg.
Er wartete, griff nach den Zigaretten. Er sog den Rauch in die Lungen. Durch die Luke war das leise Plätschern der Wellen zu hören, die gegen den Steg schlugen. Das Boot neigte sich. Die Fender stießen auf.
»Ich werde die Sony mitnehmen«, sagte sie. »Ich könnte mir zwar eine neue kaufen, aber an die habe ich mich nun mal gewöhnt.«
»Wie an eine Waffe?«
Sie nickte. »Komisch, Rick, genau das denke ich manchmal. Wenn ich die Kamera an der Schulter habe, ihr Gewicht spüre, den Auslöser drücke, dann ist es für mich, als ziehe ich an einem Abzug. Und … und das tut noch gut …«
Es war ihr anzusehen, daß sie meinte, was sie sagte.
»Eigentlich ein Jammer, daß es eine Sony ist. Es müßte eine Canon sein. Oder eine Sanyo oder Nikkon … Weißt du, daß die alle dabei sind? Nissan, Canon, Sanyo, Toyota, Fudji, Daihatsu und wie sie alle heißen. Riesen-Konzerne, die den Kanal nicht voll kriegen. Und weil das so ist, und weil der Tropenholz-Export so ein Traumgeschäft ist, pumpen die Japaner ihr Kapital nach Malaysia, gründen Banken, Scheinfirmen, Handelsgesellschaften. Fast alle großen japanischen Kartelle mischen bei der Regenwald-Zerstörung mit. Natürlich nicht nur sie. Aber mit ihren Handelsgeschäften, mit ihrem Kapital, mit Joint Ventures sind sie es, die im Tropenholz-Handel den Weltmarkt dominieren. Zuerst kam Indonesien, dann Borneo, die Philippinen, nun sind West-Malaysia und Sarawak dran. Morgen gehen sie nach Südamerika. Hätte ich statt einer Sony wenigstens eine Nikkon, könnte ich mir einbilden, sie mit ihrer eigenen Waffe zu treffen.«
Sie sprach schnell, in raschen, leisen, flüchtigen Sätzen, während ihr Englisch eine immer stärkere amerikanische Färbung annahm.
Dann lehnte sie sich zurück. »Du hast vorhin von meinem Vater gesprochen, Rick. Dagegen ging er an. Dafür kämpfte er. Und …«
»Und?«
»Für die Tiger. Doch das ist dasselbe. Ohne Wald keine Tiger.«
Er gab keine Antwort. Es fiel ihm nichts ein.
Sie hatte die Arme verschränkt. Ihre Schultern leuchteten. Sie lächelte wieder, es war eine Sorte Lächeln, das er an ihr noch nicht entdeckt hatte: ein Lächeln mit zitternden Mundwinkeln. Überspannt, erregt, weit weg.
»Dort, wo ich wohne«, sagte sie und ihm fiel auf, daß sie zum drittenmal einen Satz mit diesen Worten begann: dort, wo ich wohne – nicht Heimat. »Dort wo ich wohne, im Sultanat Jorak, gibt es noch die letzten großen zusammenhängenden Waldgebiete. Reiner Primär-Wald. Dschungel seit hunderttausend Jahren. Es ist eine bergige Landschaft, von vielen Flüssen durchzogen. Es ist wunderschön dort.« Sie setzte die Wort ganz langsam, als müsse sie sich jedes einzelne zuvor überlegen. »Na schön, ich brauche dir das nicht zu erklären. Du kennst ja solche Gegenden.«
»Ja.«
»Mein Vater nahm mich schon als kleines Mädchen in den Wald. In Malaysia gibt es praktisch nur noch ein einziges Gebiet, das den Namen Naturschutz-Reservat wirklich verdient: Taman Negara. Es liegt weiter südlich. Die Engländer haben damals dafür gesorgt, daß der Wald geschützt wird. Aber heute haben taiwanesische und japanische, auch ein paar kanadische Holz-Kompanien schon ihre Pläne vorgelegt. Dann bleibt nur noch das Sultanat Jorak. Und was für meinen Vater besonders wichtig war: In den Bergen von Jorak lebt auch die letzte Tiger-Population Malaysias.«
Sie trank einen Schluck Wein. »Lebt? Überlebt. Noch.«
Rick Martin wartete. Doch sie fiel in ein abwesendes, beinahe tranceartiges Schweigen.
»Willst du nicht darüber reden?«
»Reden? Man muß so etwas erleben … Es war so schön im Wald. Wir waren so oft dort. Manchmal Wochen. Auf der Station.«
»Station?«
»Ja. Mein Vater hatte eine Tiger-Station. Omar Hassan, der Sultan, war ein ziemlicher Idiot. Nein, das Wort Idiot ist wohl verkehrt, er war einfach kindisch … Aber Tiger liebte er. Mein Vater konnte ihn für sie begeistern. Und so stellte er das ganze Gebiet unter seine Verantwortung. Später, als Mitglied der
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